Der Urvater des deutschen Comedy ist tot / Ingo Insterburg zielte seit 1967 volle Breitseiten auf die althergebrachte bürgerliche Kunst / Er war ein wahrer 68er / Mit über 80 begeisterte er mit seinen „Blödeleien“ landauf, landab noch volle Säle
Ingo Insterburg ist gestorben. Am 27. Oktober erlag er mit 84 Jahren einem Krebsleiden. Geraume Zeit vor seiner Erkrankung besuchte ich ihn in seinem Haus in Berlin-Grunewald. Der ewige Junggeselle kam aus dem Bad, die langen, etwas ausgedünnten Haare frisch gewaschen. „Moment“, sagt er, „ich schalte den Insterburg-Fön ein.“ Das bedeutete sechsmal hintereinander kräftig den nach vorn geneigten Kopf schütteln. „Jetzt sind sie trocken“, sagt er. In seinem Wohnzimmer voller bunter Teppiche, deren Fransen allesamt exakt ausgerichtet, stehen auf einem flachen Tischchen sieben Teekannen. An den Wänden, bis hinunter in den Keller, hängen Insterburgs Gemälde. Besonders beeindruckt das nackte Damen-Sinfonieorchester. Endlich ist der Maestro soweit.
Ingo Insterburgs Damenorchester
Insterburg & Co. schrieben Zeitgeschichte. Zwölf Jahre, von 1967 bis 1979, waren die deutschen Urväter des Comedy mindestens einmal im Jahr mit ihrem Lieder- und Blödelprogramm der Sonderklasse im Fernsehen. Die vier waren Ingo Insterburg, Karl Dall, Peter Ehlebracht und Jürgen Barz.
Laut Einschaltquote lag die halbe Nation vor Lachen auf dem Bauch. Dazu kamen fast jeden Monat Auftritte im Fernseh-„Musikladen“. Auch die Einschaltquoten in der DDR waren beträchtlich. Selbst Karl Dall nannte die Zeit mit Insterburg & Co. seine schönsten Jahre.
Ingos spezielle Darstellung von Insterburg und Co.
Frage: Ingo Insterburg, können wir uns ein Stündchen ernsthaft unterhalten?
Insterburg: Das wird mir aber schwer fallen.
Frage: Fast jeder in Deutschland kennt ihren größten Hit: „Ich liebte ein Mädchen in …“ Da war eins in Meißen, das tat Ihnen die Hose zerreißen, ein anderes in Tegel, das hatte Ohren wie Segel usw. Haben Sie wirklich so viele geliebt?
Insterburg: Ich habe mehr geliebt, bis heute 120, aber damit wäre das Lied zu lang. Verliebt war ich noch öfter, aber man kann nicht alles haben. Ein wenig Dichtung ist aber schon dabei. Das mit den Mädchen in Thailand und auf dem Mars ist übertrieben. Da war ich noch nicht.
Frage: Wie alt ist dieses Lied?
Insterburg: Ich schrieb es 1967, inzwischen singe ich die aktuelle Fassung. Übrigens, einige von vielen Versuchen, die Platte mit diesem Lied in die DDR zu schmuggeln, gelangen. Mir persönlich wurde sie mal an der Grenze weggenommen wegen der Zeile: „Ich liebte ein Mädchen in Plauen, da bin ich bald abgehauen.“ Vielleicht fanden die Grenzer das Lied auch so gut, dass sie die Platte heimlich mit nach Hause genommen haben. Ich habe sie ihnen gegönnt.
Frage: 1979 drängte es Karl Dall, alleinigen Ruhm zu ernten. Insterburg & Co. löste sich auf. Trennten Sie sich friedlich?
Insterburg: Wir sind bis heute wie Geschwister, die sich auch mal zanken. Zu Karls Geburtstag im vergangenen Jahr schickte ich ihm einen besonders herzlichen Glückwunsch und bat ihn, ein Glas Wein auf mich zu trinken und in meinem Namen eine Zigarette auszudrücken. Ich trinke nämlich keinen Alkohol und rauche auch nicht. Karl hingegen beherzigt bis heute meine Lebensweisheit: Der beherrschte Genuss ist der wahre Genuss.
Frage: In ihrem Buch mit einem Rückblick auf die ersten 23.456 Tage Ihres Lebens erinnern Sie an Ihre Zeit mit Klaus Kinski.
Insterburg: Das war 1959, als ich noch an der Berliner Hochschule für Bildende Künste studierte. Die Freundin eines Freundes war gerade die Freundin von Kinski. Der suchte einen Gitarristen für Brecht-Balladen. Ich spielte ihm etwas vor, und er war zufrieden. Es war von Vorteil, dass ich immer gleich die Tonart finde, in der jemand singt, denn selten begleitete ich einen Sänger, der so oft von einer Tonart in eine andere geriet wie Klaus Kinski. Übrigens bin ich der einzige, mit dem er sich nie gezankt hat. Wahrscheinlich schätzte er meine Musikalität. Kinski nannte mich „Guitar-Ingo“, so stand es auch auf den Plakaten. An ein Ereignis erinnere ich mich ganz besonders ungern: Als Kinski im Berliner Titania-Palast die Gage bekam, stand der Gerichtsvollzieher daneben und steckte sie ein. Meine 500 Mark auch. Die musste mir ein Anwalt übers Gericht herausklagen.
Frage: Sie gelten als begnadeter Instrumentenbauer. Ihre Wohnung gleicht einer Ausstellung. Keine Klobürste ist vor Ihnen sicher. Was haben Sie alles gebaut?
Eines seiner vielen selbstgebauten Instrumente
Insterburg: Eine Konzertnagelgeige, eine Untertassengeige, ein Kurzhalscello, eine Waschmaschinentrommel-Pauke, aus Klodeckel und Gardinenstange eine Brillenharfe, eine riesige Urknall-Trommel – im Moment kann ich gar nicht alle nennen. Allen klangfähigen Gegenständen kann man Töne entlocken.
Frage: Wie viele Instrumente besitzen Sie?
Insterburg: Bei der letzten Zählung waren es 120. Soll ich schnell noch mal nachzählen?
Frage: Nein, ich glaube Ihnen. Wie viele davon haben Sie selbst gebaut?
Insterburg: Etwa 25. Einen guten Überblick bekommen Sie, wenn Sie mal in meine Vorstellung kommen. Da spiele ich 20 Instrumente. Manchmal mehrere gleichzeitig.
Frage: Wie oft sind Sie mit ihrem Solo-Programm unterwegs?
Insterburg: Da ich seit 1994 allein auftrete, beschränke ich mich im Jahr auf etwa 40 Konzerte, denn jede Veranstaltung soll mir selber Spaß machen. Meine Touren erstrecken sich von Schleswig-Holstein bis Bayern, von der Oder bis zum Rhein.
Frage: Die Wände Ihrer Wohnung beherbergen eine komplette Insterburg-Ausstellung. Alte Ölbilder, neue Aquarelle, alles eigene Werke. Wollen Sie nicht mal ausstellen?
Insterburg: Nein. Die Vorbereitung, z.B. Rahmen besorgen und die Bilder einrahmen, ist mir zu lästig. Ich sehe mir meine Bilder selber an, das reicht.
Frage: Besonders eigenwillig ist ihr Gemälde mit einem blonden nackten Damen-Sinfonieorchester. Wie kamen Sie auf einen solchen Einfall?
Insterburg: Ich habe mal zwei nackte Elfen gemalt, die im Wald Harfe spielen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit ein ganzes Orchester.
Frage: Ingo Insterburg ist der Künstlername für Ingo Wetzker, ausgewählt nach Ihrer ostpreußischen Geburtsstadt. Waren Sie nach der Kindheit wieder einmal im heutigen Tschernjachowsk, wie Insterburg in Russland seit 1946 heißt?
Insterburg: Ich war 1995 einmal dort. Da wo mein Elternhaus stand, ist Gras drüber gewachsen. Da hält sich auch das Heimatgefühl in Grenzen. Richtig warm ums Herz wird mir allerdings, wenn ich öfter mal nach Bernburg komme, wo ich meine Jugend verbrachte, bis ich Ende 1953 mit dem Fahrrad nach Westberlin abgehauen bin. In Bernburg gab ich im Dezember 1999 eines meiner allerschönsten Konzerte. Übrigens gehört das Publikum in den neuen Bundesländern zu meinem Lieblingspublikum. Irgendwie haben die ein Gefühl für richtig guten Humor – also meinen.
Frage: Auf vielen Fotos sieht man Sie mit einer Krone. Hat die eine besondere Bedeutung?
Insterburg: Da ich wohl nie ein Bundesverdienstkreuz kriegen werde, habe ich sie mir selbst bei einem Glas Brennnesseltee als Bundesverdienstkrone verliehen. Mit Krone der Volksmusik oder Krone der Geschmacklosigkeit – wo ist da der Unterschied? – hat das nichts zu tun.
Frage: Sie trinken Brennnesseltee?
Insterburg: Nicht nur. Ich habe sieben Teekännchen, die alle einer bestimmten Sorte vorbehalten sind. Aus den verschiedenen Kannen trinke ich am Tag mindestens zweieinhalb Liter Tee, weil das gesund ist.
Frage: Sie haben 1973 den wenig erfolgreichen Roman „Das Leben als Otto Darmstatt“ veröffentlicht, jetzt Ihre Lebenserinnerungen, außerdem verfassen Sie Raucher- und Trinkerlyrik, dass einem das Blut gefriert. Sie malen und schreiben Märchen im Stile des von Ihnen geprägten real-romantischen Phantastizismus, die es mit eigener Musik auch auf einer CD gibt. Als was wollen Sie in die Kunstgeschichte eingehen?
Insterburg: Als ein Mensch, der sich bewusst ist, dass die Kunst ein schmaler Pfad ist und der versucht, beim Balancieren nicht auf die Fresse zu fliegen.
Frage: Wie schätzen Sie als einer der Urväter des deutschen Comedys die Inflation entsprechender Sendungen im heutigen Fernsehen ein?
Insterburg: Ein kluger Schauspieler hat einmal gesagt, es gibt 2.000 Witze. Die kann man variieren, aber mehr gibt es nicht. Deswegen sollte man auch sparsam damit umgehen, um sich nicht in die Ordinärsprache flüchten zu müssen. Es gibt doch kaum noch feine Andeutungen, da wird einfach drauf gehauen. Ich habe mich immer an die Regel gehalten. Dafür ein Beispiel:
Ein Mädchen, das ins Wasser plumpst
ist sauber, wenn man es dann rauszieht.
Danke, das reicht.