Ein Sozialdemokrat, der die Welt verändern half – Adolph Hoffmanns Zwischenrufe waren wie Peitschenhiebe

Mehr als ein halbes Jahrhundert war Adolph Hoffmann eine der schillerndsten Personen unter den fortschrittlichen deutschen Politikern. Über den Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert gehörte er zu den großen Persönlichkeiten der deutschen Sozialdemokratie. Die Spuren seines kämpferischen, ideenreichen und mitunter auch bizarren Wirkens reichen bis in unsere Tage, wenngleich der Name möglicherweise nicht mehr den ihm gebührenden Ruf besitzt.

Adolph Hoffmann ermittelte als Berliner Stadtverordneter untercover gegen die Drangsalierung von Obdachlosen. Er trickste die Schnüffler der Geheimpolizei aus, er war ein gefürchteter Zwischenrufer in den Parlamenten. Schließlich war er Mitbegründer der II. Internationale 1889 in Paris. An der Seite Karl Liebknechts stimmte er gegen die Bewilligung von Kriegskrediten im Ersten Weltkrieg, er gründete die USPD mit, und während der Novemberrevolution wurden unter seiner Führung das Rote Rathaus und der Preußische Landtag in Berlin besetzt. Es war nicht seine Absicht, den alten bürgerlich-preußischen Beamtenstaat zu zerschlagen, er wollte das Unmögliche – ihn demokratisieren.

So steht die Villa, die nach 1945 im Sinne Hoffmanns Kindergarten wurde, heute leer.
Hoffmann war ein humanistischer Aufklärer, zutiefst der Gerechtigkeit verpflichtet. Trotz aller Widrigkeiten war er seinen Grundüberzeugungen stets treu. Als preußischer Bildungs- und Wissenschaftsminister setzte er unmittelbar nach dem Sturz der Monarchie Zeichen für die Trennung von Staat und Kirche, die bis in unser heutiges Grundgesetz nachwirken. Auf der Grundlage seines Bestsellers „Die zehn Gebote und die besitzende Klasse“ beendete er den Einfluss der Kirchen auf die Schule und sorgte dafür, dass der Religionsunterricht als Pflichtfach abgeschafft wurde. Sein vornehmstes Ziel war es, allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig von den Familienverhältnissen und der Religion, Bildung und Ausbildung zukommen zu lassen.

Der Humanistische Verband, der den Traditionen Hoffmanns verpflichtet ist, wollte die Villa als Kulturzenhtrum nutzen und gestalten. Das Projekt wurde für alle sichtbar vorgestellt. Plötzlich kam das Aus
Adolph Hoffmanns Sommersitz in Fredersdorf-Vogelsdorf, den er zum notwendigen Nachweis von Grundbesitz als Berliner Stadtverordneter bauen ließ, steht derzeit zum Verkauf. Alle bisherigen Möglichkeiten des authentischen Erhaltens gemäß Denkmalschutz haben, möglicherweise auch durch halbherziges Handeln der Gemeinde, versagt. Der Humanistische Verband, dessen Mitgründer und Vorsitzender Adolph Hoffmann war, hatte zwar ein gutes Konzept vorgestellt, um die Villa in der Vogelsdorfer Fröbelstraße als kulturelles Zentrum der Gemeinde zu erhalten und auszubauen, hat sich schließlich aber aus dem Projekt wieder zurückgezogen. Es scheint, als solle das Haus jetzt in private Hände verkauft werden. Und nicht mehr als eine Tafel soll an den großen Sozialdemokraten erinnern. Dabei böte genau dieser Ort als eine gute Möglichkeit, sich durch tätiges Miteinander von Jung und Alt den hohen Zielen des großen Humanisten anzuschließen.
Adolph Hoffmanns Leben in den wichtigsten biografischen Daten:
Am 23. März 1858 wird Johann Franz Adolph Hoffmann in Berlin geboren. Seine Mutter war Dienstmagd im Hause des berühmten Komponisten Giacomo Meyerbeer, der weltweit als Schöpfer der Grande Opéra von Paris gefeiert wurde und in Deutschland u.a. von Friedrich-Wilhelm III. als Generalmusikdirektor der preußischen Schauspiele berufen wurde. Hoffmanns Vater ist namentlich nicht bekannt, allen Indizien nach soll es sich um eine höhere Persönlichkeit handeln, die im Hause Meyerbeer verkehrte.
1872 beginnt er eine Lehre als Graveur und Vergolder, die er später aus gesundheitlichen Gründen abbrechen muss. Seit er neun Jahre war – seine Mutter war wenige Monate nach seiner Geburt verstorben -, musste er selbst für den seinen Unterhalt aufkommen. Für Schulbildung blieb wenig Raum. Doch er fand sich nicht ab mit seinem Schicksal und nicht mit den herrschenden politischen Verhältnissen. Er eignete sich autodidaktisch das Wissen an, das ihm aufgrund seiner proletarischen Herkunft vorenthalten war.
1876 wird er Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, der späteren SPD. Sie war 1875 auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag aus den marxistischen „Eisenachern“ mit den gemäßigteren „Lassalleanern“ hervorgegangen.
1879 Hochzeit mit der Arbeiterin Auguste Streitner. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor.
1881 nahm er teil am Gründungskongress des Deutschen Freidenkerbundes in Frankfurt/Main.
1883 hatte Adolph Hoffmann unter den Bedingungen von Bismarcks Sozialistengesetz, wie viele andere Genossen auch, regelmäßig einen Spitzel vor seinem Haus stehen. Eines Tages sprach dieser Hoffmann an: „Sehen Sie, Sie könnten sich so leicht einen hübschen Nebenverdienst verschaffen. Überlegen Sie sich ruhig, ob es nicht klug wäre, mein Angebot, uns Nachrichten über Parteiangelegenheiten zukommen zu lassen, anzunehmen.“
Der Polizeiminister Puttkamer hatte im Reichstag derartige Spitzeleien abgestritten. Hoffman ging zum Schein auf das Angebot ein. Aber er erreichte durch geschicktes Argumentieren, dass erstens das entscheidende Gespräch in seiner Wohnung stattfand und zweitens sogar der Vorgesetzte des Spitzels, der Kriminalkommissar Weinert, bei ihm erschien. Vor diesem Treffen hatte er sich mit Mitgliedern der Reichstagsfraktion beraten. Als Zeuge versteckte sich der Reichstagsabgeordnete, Schriftsteller und Historiker Wilhelm Blos in der Kammer von Hoffmanns Ein-Zimmer-Wohnung. Dann erschien Weinert. Und tatsächlich bot dieser ihm an: „Sie sollen ohne jede Leistung zwanzig Mark pro Woche erhalten und für jede Mitteilung besonders honoriert werden.“ Da deckte Hoffmann die Falle auf. Wilhelm Blos schrieb das Erlebte sofort auf und fertigte eine Pressemitteilung. Der Bericht erschien unter der Überschrift: „Ein Geheemer in Nöten.“
Oder: Als Mitglied des Berliner Obdachlosenkuratoriums hatte Hoffmann gehört, Obdachlose würden im städtischen Obdach grundlos mit Gummischläuchen geprügelt. Als er dies in einer Kuratoriumssitzung ansprach, wurde vom Vorsitzenden sofort ein Ortstermin im städtischen Obdach einberufen. Aber Gummischläuche wurden dort nicht gefunden. Hoffmann musste seine Behauptung widerrufen. Zusammen mit einem anderen Genossen verkleidete er sich eines Abends als Obdachloser. Tatsächlich wurden sie wie die anderen Obdachsuchenden grundlos mit Gummischläuchen verprügelt. Da enttarnte sich Hoffmann, holte die Polizei und brachte das Geschehen in die Presse.
1889 ist er neben Wilhelm Liebknecht Delegierter beim Gründungskongress der II. Sozialistischen Internationale in Paris, in deren Tradition sich die heutige Sozialistische Internationale sieht.
1890 wird er Redakteur und Herausgeber des sozialdemokratischen Blattes „Der Volksbote“ in Zeitz. Es gelingt ihm, besonders in der Landbevölkerung weniger gebildete Menschen mit den Zielen der Sozialdemokratie vertraut zu machen. Rhetorisches Talent sowie seine Schlagfertigkeit machen ihn zum populären Redner. Aus Artikelserien im „Zeitzer Volksboten“ entstehen Broschüren, die er im eigenen Verlag herausbringt.
1891 gehört Adolph Hoffmann neben Georg Büchner und Wilhelm Bölsche zu den Mitbegründern des Deutschen Freidenkerbundes. Schon als Jugendlicher hatte er 1873 zur Freireligiösen Gemeinde gefunden, deren Vorsitz er 1913 übernahm. Als Freidenker ist er einer der bekanntesten Kirchenkritiker seiner Zeit. Seine Schrift „Die Zehn Gebote und die besitzende Klasse“, in der er die Doppelmoral der Herrschenden und die Rolle der Religion als Herrschaftsinstrument anprangert, wird weit über 200.000 Mal verkauft. Zudem bringt sie ihm den Spitznamen „Zehn-Gebote-Hoffmann“ ein.

Hoffmanns erster Bestseller, der mehr als 200.000 mal verkauft wurde.
1890 ist er Delegierter des SPD-Parteitages in Halle und von da an auf den meisten Parteitagen der SPD bis 1913. Adolph Hoffmann lässt sich in seiner gesamten politischen Tätigkeit von den Inhalten des auf dem Parteitag in Erfurt 1891 (Luxemburg: „Wir sind wieder bei Marx.“) beschlossenen Programms leiten, das die demokratische und soziale Umgestaltung der Gesellschaft fordert.

1891 gründet er seinen eigenen Verlag A. Hoffmann. Ab 1893 führt er den Verlag, ab 1895 mit angeschlossener Buchhandlung, in Berlin weiter und ist als Buchhändler und Verleger von freigeistigen Publikationen, sozialdemokratischen Agitationsbroschüren, Bilderbüchern, Theaterstücken für Laiengruppen, Witzen, Parodien, Musikalien und Gedichten tätig. Unter den kleinen Theaterstücken aus seinem Verlag befinden sich auch solche, die Hoffmann unter dem Pseudonym F. A. Volkmann selbst verfasst oder bearbeitet hat.
1891 seine antiklerikale Schrift „Die zehn Gebote und die besitzende Klasse“ erscheint in seinem eigenen Verlag. Die Broschüre verkauft sich mehr als 200.000 mal. Zwei Zitate aus dem Inhalt:
„Das 7. Gebot: Du sollst nicht stehlen – Ich erinnere nur an die unzähligen Bankerotte, Zusammenbrüche der Darlehnskassen, Banken, schwindelhaften Gründungen von Aktiengesellschaften, welche Zausende und Abertausende um ihr Hab und Gut gebracht haben. …
Das 9. Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus – Würde das neunte Gebot von dem größten Teil der Vertreter des Geldsacks befolgt; dann wären diese selbst sowie die heutige privatkapitalistische Produktionsweise überhaupt die längste Zeit gewesen, denn ihre ganze Existenz ist fast ausschließlich auf das Begehren des Nächsten Hab und Gut aufgebaut.“
1896 Zweite Ehe mit Emma Kricke, die aus einer sozialdemokratischen Familie stammt. Aus dieser Ehe geht ein Sohn hervor

Adolph Hoffmann mit seiner zweiten Ehefrau, Emma Kricke, an einem Bücherstand seines eigenen Vetrlages
1900 Stadtverordneter in Berlin (bis 1921)
1904 wurde er zum ersten Mal Reichstagsabgeordneter bis 1906, später nochmal von 1920 bis 1924. Gefürchtet waren seine Zwischenrufe, über die in der Wochenschrift „Der Drache“ 1928 geschrieben wurde: „In Hoffmanns Zwischenrufen steckt mehr als Witz. Da ist tiefere Bedeutung. Es sind einzeilige Epigramme, die besten Reden, die je in einem deutschen Parlament gehalten wurden.

Ein Beispiel: „Mit wurde hier soeben von dem Redner der Konservativen vorgeworfen, dass ich mir und mich verwechsle. Das stimmt leider; und es ist ein trauriges Zeichen für den Zustand der Volksschulen, den die Konservativen zu verantworten haben. Die Herren von der rechten Seite verwechseln auch Mein und Dein, und wenn sie das auf ihren hohen Schulen gelernt haben sollten, dann sind die Hochschulen noch reformbedürftiger als die Volksschulen.“
1908 Landtagsabgeordneter in Preußen bis 1921 erneut 1928-1930. In der Berliner Stadtverordnetenversammlung erreicht er Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter des Vieh- und Schlachthofes und setzt im Obdachlosenheim „Die Palme“ Änderungen der dortigen menschenunwürdigen Zustände durch. Im Reichstag beteiligt er sich 1905 aktiv an den Debatten zu einem Toleranzgesetz, das jeden Zwang auf religiöse Bekenntnisse abschaffen soll. Im preußischen Landtag bekämpf er das Dreiklassenwahlrecht und fordert die Reform und Demokratisierung des preußischen Verwaltungswesens.
1913 Delegierter beim Internationalen Freidenkerkongress in Lissabon. Seine Broschüre „Los von der Kirche“ von 1908 fand bereits massenhaft Verbreitung. Als sich 1910 die Kirchenaustrittsbewegung mit dem überparteilichen „Komitee Konfessionslos“ eine organisatorische Form gibt, ist er beteiligt. Dabei kritisiert Hoffmann weniger die Religion an sich, als vielmehr die Verquickung der Kirchen mit dem Staat und den Interessen der Herrschenden. Er kämpft für Gewissensfreiheit und gegen religiösen Zwang.
1915 Hoffmann gehört im September zu den 38 Teilnehmern aus 18 Ländern während der Internationalen sozialistischen Friedenskonferenz in Zimmerwald (Schweiz). Im Streit mit Lenin und Trotzki trug Hoffmann dazu bei, linksradikale Parolen im „Zimmerwalder Manifest“ zu verhindern.
1917 war er in Gotha Mitbegründer der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und gehörte ihrem Zentralkomitee unter Vorsitz von Hugo Haase an. Die Abspaltung von der SPD war der Burgfriedenspolitik der SPD sowie der Bewilligung der Kriegskredite geschuldet. Unter maßgeblichen Aktionen der USPD führte die Revolution am 9. November 1918 zum Sturz der Monarchie und zur Flucht des Kaisers.
Am 23. Oktober 1918, nach der Ankunft Karl Liebknechts nach der Haftentlassung auf dem Anhalter Bahnhof, hielt Adolph Hoffmann am Abend in den Sophiensälen die offizielle Begrüßungsrede für Liebknecht.
9. November 1918 Adolph Hoffmann steht als führender Funktionär der USPD am Tag der Novemberrevolution in Berlin mit an der Spitze der Aufständischen und besetzt das Berliner Rote Rathaus sowie das Preußische Abgeornetenhaus.

Am 14. November 1918 wird Adoph Hoffmann in paritätischer Besetzung mit dem Mehrheitssozialisten Konrad Haenisch Minister für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung in Preußen. Die Funktion hat er nur bis Anfang Januar 1919 inne.
Auszüge aus dem Erlass des Ministerium Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 29. November 1918:
„(…) In diesem Sinne verordnen wir für sämtliche uns unterstellten Lehranstalten der Republik Preußen
- Das Schulgebet vor und nach dem Unterricht wird, wo es bisher noch üblich war, aufgehoben.
- Eine Verpflichtung der Schüler seitens der Schule zum Besuch von Gottesdiensten oder anderen religiösen Veranstaltungen ist unzulässig. Auch hat die Schule keine gemeinsamen religiösen Feiern (z. B. Abendmahlsbesuche) zu veranstalten. Schulfeiern dürfen keinen religiösen Charakter tragen.
- Religionslehre ist kein Prüfungsfach.
- Kein Lehrer ist zur Erteilung von Religionsunterricht oder zu irgendwelchen kirchlichen Verrichtungen verpflichtet, auch nicht zur Beaufsichtigung der Kinder beim Gottesdienst.
- Kein Schüler ist zum Besuch des Religionsunterrichtes g e z w u n g e n. Für Schüler unter 14 Jahre entscheiden die Erziehungsberechtigten, ob sie einen Religionsunterricht besuchen sollen, für Schüler über 14 Jahre gelten die allgemeinen Bestimmungen über Religionsmündigkeit. (…)“

Adolph Hoffmann in den späten Zwanzigerjahren u.a. mit seiner dritten Ehefrau im Garten seiner Vogelsdorfer Villa
1920 Dritte Ehe mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Martha Peege.
1922 Rückkehr in die SPD

Adolph Hoffmann, der selbst auch gern zeichnete, mit einer eigenen Illustration aus seinen „Reise-Erlebnissen“ von 1924, wobei er sich (rechts) selbstdarstellte
1930 stirbt Adolph Hoffmann in Berlin. Er wird auf dem Friedhof Friedrichsfelde beigesetzt, 1951 wird seine letzte Ruhestätte in die Gedenkstätte der Sozialisten zu vielen anderen historischen Gräbern umgebettet.
Ein Nachruf in der Berliner Lehrerzeitung belegt, dass auch das liberale Bürgertum das Wirken Hoffmanns, der zeitlebens aus kirchennahen Kreisen heftig angefeindet wurde, zu würdigen wusste.