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Unsere Helden und Idole

So weit waren Ost und West gar nicht auseinander

Junge Menschen sehnen sich nach Helden und Idolen. So war das auch in der DDR. Mit den vorgegebenen Helden konnten wir allerdings wenig anfangen. Sie hießen Thälmann, Liebknecht, Luxemburg, Beimler, Köbis und Reichpietsch und waren alle tot. Ermordet von der Reaktion. In der Schule nahmen wir ihre gut frisierten Lebensläufe durch und vergaßen sie wieder. Allenfalls wurde uns noch die Stelle gezeigt, an der im ehemaligen KZ Buchenwald Thälmann hinterrücks erschossen wurde.

Einprägsamer waren dennoch andere Helden, beispielsweise im Sport, wo spontanes Erleben lange in uns nachwirkte. Unvergessen der Radrennfahrer „Täve“ Schur, die Skispringer Helmut Recknagel und Jens Weißflog, die Fußballer Croy und Sparwasser, die Wasserspringerin Ingrid Krämer, die Sprinterinnen Marita Koch und Marlies Göhr, die Weitspringerin Heike Drechsler und Katarina Witt mit den angewachsenen Kufen an den Füßen.    

Apropos Sport. Unvergessen ist ein Erlebnis mit meinem Onkel Hugo im Sommer des Jahres 1954. Die Grundschule hatte ich beendet, einen Lehrvertrag in der Tasche und den Ernst des Lebens – wie mir nachdrücklich erklärt wurde – vor mir. Am 4. Juli 1954, dem Tag meiner Entlassung aus der Grundschule, bat mich mein Onkel für den Nachmittag zu sich nach Hause. Der Bruder meines Vaters war nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 aus dem „Roten Ochsen“ in Halle entlassen worden, wo er wegen angeblicher Antisowjethetze eingesperrt gewesen war.

Erwartungsvoll hockten wir in der geräumigen Wohnküche seines Häuschens vor dem Radio und verfolgten die Reportage vom Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft in Bern. Deutschland spielte gegen Ungarn, korrekt: die Bundesrepublik Deutschland gegen die Ungarische Volksrepublik. Wie hypnotisiert blickten wir auf die vergilbte Stoffbespannung über dem Lautsprecher im dunkelbraunen Holzkasten und bangten um einen, wie es lange schien, kaum noch erreichbaren Sieg der Deutschen.

Plötzlich riss uns die unvergessene Radioreportage von Herbert Zimmermann von den Stühlen: „Schäfers Zuspiel zu Morlock wird von den Ungarn abgewehrt – und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal, gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ Gegen alle Erwartungen wendeten die Männer um Kapitän Fritz Walter das Spiel gegen die berühmte Ungarn-Elf zum siegreichen 3:2. Es war wohl die erste wirkliche Wende in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Sensationell, was sich im Wankdorf-Stadion und in uns abspielte. Onkel Hugo wischte ein paar Tränen aus seinem Gesicht. Vielleicht empfand er so etwas wie Genugtuung für das an ihm begangene Unrecht. Einerseits gehörten die Ungarn zum Ostblock wie wir, andererseits waren die Spieler um Fritz Walter Deutsche wie wir. Keine Frage, für wen unsere Herzen schlugen. In Blöcken denken nur Politiker.

Über Jahre konnte ich die komplette deutsche Mannschaft mit allen Auswechselspielern im Schlaf aufsagen. Und natürlich war Sepp Herberger, jenseits aller Kenntnis, dass er bei den Nazis schon Reichstrainer einer „judenfreien“ Nationalmannschaft war, gleichermaßen zum Idol geworden.

 Mit der Zeit verblassten die Helden von Bern, zumal man in der DDR selten nach ihnen gefragt wurde. Sie machten anderen Helden im Kopf Platz. Solchen, die in Schule, Ausbildung und bei der FDJ-Abzeichenprüfung „Für gutes Wissen“ abgefragt wurden, deren Biografien in Zeitungen zelebriert wurden, nach denen sich Brigaden nannten und deren Bilder an Wandzeitungen klebten. Unsere Helden waren plötzlich Menschen wie Adolf Hennecke, der im Steinkohlenbergbau alte Normen über den Haufen bohrte, Frida Hockauf, eine Weberin, die den Ausspruch auf sich zu nehmen hatte: „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“

Jahr für Jahr gab es neue Helden. Menschen, die die Normen übererfüllten, die schneller und besser Dächer deckten und Häuser bauten, Felder abernteten und pflügten, sowjetische  Neuerungen am besten nutzten. An ihren Sonntagsanzügen prangten bei Aufmärschen die Heldenmedaillen, für die es zudem zehntausend Mark gab. Und schneller ein Auto als für andere, die keine Helden waren.

Natürlich gab es auch noch die über alles erhabenen ganz großen Helden und Vorbilder, jene zwei Dutzend im SED-Politbüro, deren Fotos überlebensgroß am „Kampf- und Feiertag der Werktätigen“ kilometerweit durch die Straßen getragen wurden. Fast täglich begegnete man ihren Bildern in den Zeitungen. Verrückt nur, dass deren tägliche kleine Filmauftritte in der „aktuellen kamera“ des DDR-Fernsehens laut Einschaltquote kaum jemand sehen wollte. Vielleicht waren es nur Pseudo-Helden, also keine echten.  (Test: Nenne mir nur fünf!)

Dann gab es die Helden im Ausland, die uns zur Solidarität mahnten. Zum Beispiel Manolis Glezos, der im deutsch besetzten Griechenland die Fahne seines Landes auf der Akropolis gehisst hatte und nun von Militärregierungen verfolgt wurde. Oder Raymonde Dien, die mutige Französin, die sich auf die Schienen gelegt hatte, um Waffenexporte aus Frankreich nach Algerien zu verhindern. Der erschossene Kommunist Philipp Müller aus Essen, die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis aus den USA mit einer inszenierten Mordanklage am Hals und der kommunistische Generalsekretär Luis Corvalán aus Chile. Und natürlich Che Guevara in Lateinamerika, Ho Chi Minh in Vietnam und Yasser Arafat an der Spitze der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO.

Wer waren denn nun wirklich unsere Helden und Idole? Da kommen Ideologien und politische Systeme völlig durcheinander. Es waren ohne Zweifel Juri Gagarin als erster Mensch im Weltall und Neil Armstrong, der als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. Walentina Tereschkowa, die erste Frau und Sigmund Jähn, der erste Deutsche im Weltall. Ich zählte dazu Präsident John F. Kennedy, Willy Brandt nach dem Kniefall von Warschau und viel später Michail Gorbatschow. Und natürlich Nelson Mandela, Salvador Allende und Fidel Castro.

Dann begann in den Fünfzigern das Fernsehzeitalter. Als gesamtdeutsche Fernsehzuschauer lagen uns Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff am Herzen. Wir schwärmten für die Dietrich, Curd Jürgens und Hardy Krüger sen., für die Knef und Erwin Geschonneck in „Karbid und Sauerampfer“, mochten besonders den Krug und die Karusseit, den Thate, die Domröse und die Hoffmann, die Tiller und den Giller.

Mit Heinz Erhard, Werner Fink, Dieter Hildebrandt und Wolfgang Neuss entging uns keine Sendung, wir versäumten ebenso wenig die Münchner Lach- und Schießgesellschaft und Ingo Insterburgs intelligente Blödeltruppe, deren Witz uns Tränen lachen ließ. Sie alle halfen uns die Freizeit abseits des sozialistischen Alltags zu genießen, wenn es mit Herricht und Preil zu wenig eigenen sinnfreien Humor gab. Von Satire ganz zu schweigen.

Es hieße Wasser in die Spree tragen, wenn ich als Idole unserer Jugend Elvis Presley und Bill Haley nenne und Harry Belafonte und Ella Fitzgerald – um nur wenige zu nennen. Die Beatles natürlich, deren einzige Amiga-Platte ich gut behüte, Depeche Mode, die Roling Stones und Udo Lindenberg mit seinem Sonderzug nach Pankow. Im eigenen Land päppelten sich gegen alle staatlichen Vorschriften und Verhaltensregeln mühsam die Puhdys, für die ich sogar einen Text beisteuerte, Karat, Silly und einige andere in die Gunst ihrer Fans.

Soweit auseinander waren die Helden und Idole der Jugendlichen in Ost und West nicht. Es war nur etwas schwieriger, sich in der DDR ihrer zu bedienen, ihre Platten, Bänder und CD zu sammeln, zu tauschen oder mitzuschneiden. Vielleicht wird das, was einst so schwer zu haben war, von jenen, die es Mühe kostete,  bis heute mehr geschätzt, als von denen, die mit dem Erwerb keine Probleme hatten. Und so verblassen die Erinnerungen an Helden und Idole hier auch etwas langsamer als dort.

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