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In der Asservatenkammer der DDR

Der Geheimtipp aus „The Guardian“

Es ist, als rieche man die DDR. Wer von René Schmidt in Garzin bei Strausberg durch sein einzigartiges Museum geführt wird, definiert möglicherweise Sammelleidenschaft neu. Im Obergeschoss seines geräumigen Hauses nahe dem Haussee hat er auf mehr als 100 Quadratmetern in mehreren Räumen zusammengetragen und thematisch sortiert, was  landauf, landab in den euphorischen Tagen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik im hohen Bogen weggeschmissen wurde, als hätte man sich nicht schnell genug von der Vergangenheit trennen können.

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René Schmidt, leidenschaftlicher Sammler und Direktor seines eigenen Museums in Garzau-Garzin, Am Haussee 3

Doch irgendwann beginnt das Erinnern an Kindheit, Jugend und Arbeitsleben in einem Staat, den es nicht mehr gibt, der jedoch Generationen geprägt hat – insgesamt rund 25 Millionen Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche. Ein Rundgang durch die Sammlungen ist wie ein Zurückschauen auf das eigene Leben – nostalgisch, nicht sehnsuchtsvoll, amüsiert und mitunter auch erstaunt. Und – um auf die Frage eines Besuchers aus den alten Bundesländern, der seinem Sohn die Asservatenkammer zum Fall DDR zeigte, an den Museumsdirektor einzugehen  – nein, man wünscht sich die DDR nicht zurück, doch ihr Equipment hängt einem an und macht sich mit der Bemerkung Luft: „Das hatten wir auch…!“  

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Oben links der Kleincomputer KC 85/2, der ab 1984 im VEB Mikroelektronik Mühlhausen gebaut wurde

Da ist die alte Nähmaschine von Veritas aus Wittenberge oder die noch viel ältere von Singer bis Dürrkopp, die als Erbstücke in Tausenden Haushalten im sozialistischen Zeitalter als Raritäten gepflegt und vor allem genutzt wurden. Was die Unterhaltungsbranche zwischen Berlin, Dresden und Ilmenau alle paar Jahre an Neuheiten, vom Musikschrank bis zum Miniradio, präsentierte, was die Kameraindustrie, von der „Pouva Start“ und „Perfekta“ bis zur  anspruchsvollen „Exa“- und „Practika“-Reihe auf den Markt brachte – René Schmidt hat es gesammelt und stellt es aus. Und da ist einer der ersten Computer aus volkseigener Produktion.

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Natürlich hat der Sammler, dem zu vielen seiner Exponate immer wieder ein witziger Kommentar entschlüpft, auch nicht das blaue und rote Pionierhalstuch vergessen, das einem in Kinderjahren stolz zum Hals heraus hing, zudem die berühmte Dreicksbadehose, eine ABV-Uniform, Handpuppen für das Kasperletheater, Kinderspielzeug,  Bücher, Zeitschriften, Speisenkarten…

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Mitte links die berühmte Dreicksbadehose für 1,30 Mark, nach der René Schmidt lange suchen musste. Rechts die Klistierspritze ENEMA 140 aus dem VEB Gummiwerke Berlin. Unten im Foto rechts neben der hölzernen Waschmaschine die TS 66, die  Wäscheschleuder und Entsafter in einem ist

Mit Kennerblick hat René Schmidt oft auch aus dem Sperrmüll gerettet, was für die Neuausstattung von Haus und Hof in Tausenden Familien im vereinten Deutschland im Wege war. Da fehlen auch nicht die Porträts von Pieck über Ulbricht bis Honecker, die in Bürgermeisterämtern und LPG-Büros hingen. Leider fehlt dem Sammler noch ein Amtsstubenporträt von Ministerpräsident Stoph. Doch vieles andere entschädigt dafür: Getränke in den Originalflaschen, Konserven mit ihren reizlosen Etiketten („aber immer noch verwertbar“), Reinigungsmittel von Ata bis Fay, Küchen- und Waschmaschinen, Simson-Mopeds, Uhren und und und…

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Im linken Foto in der Mitte ganz links die berühmte „Pouva Start“, ein Fotoapparat für Anfänger aus dem Jahr 1951. Rechts ein Blick auf die funktionsfähige Eisenbahn, für die René Schmidt verschiedene Spurweiten von Piko Sonneberg bis Zeucke Berlin verwendet hat

Sonderbarerweise war es die englische Tageszeitung „The Guardian“, die erstmals in einem größeren Artikel diese Ausstellung als Geheimtipp bezeichnete. Die Journalistin Nell Frizzel war mit ihrem Partner über den Europaradweg R1, von Buckow kommend, nach Garzin gelangt, wo ein kleines Schild einlud ins „DDR & Nostalgie-Museum, Eintritt frei“. Der 54-jährige René Schmidt führte die Journalistin durch die seit 2007 aufgebaute Ausstellung. Bald darauf sang der „Guardian“ ein Loblied, das von einem geordneten Chaos schwärmte und der schönsten Entdeckung auf dem Weg zwischen Polen und Berlin.

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In der Freiwilligen Feuerwehr, in der René Schmidt ebenfalls aktiv ist, wurde aus einem vierrädrigen „Trabi“ ein sechsrädriges Feuerwehreinsatzfahrzeug gebaut, das immerhin mit 200 Liter Wasser unterwegs sein kann

Sonntags von 8 bis 18 Uhr ist der Museumsdirektor bereit, Gäste durch das Panoptikum der Kuriositäten und Beweismittel an einen untergegangenen Staat zu führen. Oder einfach vorher mal anrufen.

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Wandlitzer Impressionen – Natur und Technik unter einem Dach

Erlebnisreiches „Barnim Panorama“ in Wandlitz

Wer das Museum in Wandlitz besucht, sollte nicht unter Zeitdruck stehen. Was die Gemeinde im Herzen des Naturparks Barnim in den vergangenen Jahren mit dem „BARNIM PANORAMA Naturparkzentrum – Agarmuseum Wandlitz“ – so der exakte Name – auf die Beine gestellt hat, fasziniert mit seiner Themenvielfalt und der ausgefallenen Sammlung vom Traktor bis zur fußbetriebenen Bohrmaschine, von der alten bäuerlichen Puppenstube bis zur hundertjährigen Milchzentrifuge. Hinzu kommen in Vergessenheit geratene Nutzpflanzen, zum Beispiel Buchweizen, und anderen alte Kulturpflanzen im Freilichtbereich hinter dem Museum.

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Der 2013 eingeweihte Neubau mit einer bizarren Innenarchitektur, die die sechs Themenbereiche mehr verbindet als trennt und einen harmonischen Überblick über Land und Leute vermittelt, beginnt mit einer Multimediashow. Vor einem großflächigen Panorama erlebt der Besucher in 300 Sekunden den Wandel einer Region von der Eiszeit bis zur heutigen Kulturlandschaft, in die vor rund 8000 Jahren der Mensch einzugreifen begann.

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Das Besondere an der Konzeption des Museums ist die Verbindung zwischen Naturpark und der Sammlung des ehemaligen Agrarmuseums Wandlitz. Letzteres hatte in den Fünfzigerjahren mit einer Heimatstube begonnen, sich  bis zu einem Regionalmuseum entwickelt, in der Ausstellungen wie „Vom Ich zum Wir“ die – von den Bauern widerwillig hingenommene – Kollektivierung der Landwirtschaft im heutigen Land Brandenburg gelobpreist wurde. Es war, von den wertvollen Sammelstücken abgesehen, oft genug eine sozialistische Propagandaschau.  

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Dreschmaschine1925

Mit der freien Entfaltung der „Museumskräfte“ und den neuen Führungsgremien der Gemeinde entstand mit Unterstützung von Land, Bund und EU schließlich nach langen Debatten etwas ganz Neues. Unter dem Leitgedanken „Geformte und genutzte Landschaft“ werden die Themen Natur, Landwirtschaft und Technik in ihrer harmonischen Verbindung nachvollziehbar. 

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Mit besonderer Sorgfalt ist die Entstehung der Bodenverhältnisse dieser Landschaft dargestellt. Der Boden, über den wir achtlos schreiten, ist voller Leben, er ist als Bestandteil einer weitreichenden Biologie Nahrungsspender und Spekulationsobjekt zugleich. Einfallsreich sind viele Details zu musealen Ausstellungsstücken geworden. So gehört zum Blick aus einem oberen Fenster über den Wandlitzer See ein vier Meter langer Bohrkern, der die Vielschichtigkeit des Bodens vom Grunde des Gewässers erkennen lässt.

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Mit Traktoren vom uralten Lanz-Bulldog bis zum letzten gebauten ZT 323 aus Schönebeck ist die „Traktoren-Herde“ ein Highlight der Schau. Nicht minder interessant sind die alten Dreschmaschinen, die Mähdrescher vom russischen „Stalinez“ bis zum E 512 aus Neustadt/Sachsen die Vielzahl unterschiedlicher Pflüge aus längst vergangenen Zeiten und die ost wunderlich anmutenden Haushaltsgeräte der Vergangenheit, an die sich ältere Besucher selbst nur noch vage erinnern werden.

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Eine Sonderausstellung innerhalb des Museums ist der „Waldsiedlung Wandlitz“ gewidmet, die den Namen der Gemeinde lange Zeit beeinträchtigt hat, wenngleich die berühmt-berüchtigte Wohnsiedlung der SED-Spitzenfunktionäre nie zu Wandlitz gehörte, sondern immer schon zu Bernau. „Eine Landschaft der Macht“ ist das Ausstellungskapitel überschrieben. Ein Film des damaligen Jugendsenders Elf99 des DDR-Fernsehens zeigt, wie im November 1989 erstmals Journalisten – ich gehörte auch dazu – die Waldsiedlung betreten durften und mit verharmlosenden Geschichten über das tatsächliche Luxusleben und die Privilegien der Machtelite über den Tisch gezogen werden sollten. An Beweisen mangelt es  in diesem bis 9. November geplanten Sonderausstellung nicht.

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Alles in allem: Zwei Stunden vergingen wie im Pflug (pardon: Flug). Bei einer guten Tasse Kaffee im Foyer und mit ein paar guten Büchern aus dem reichen Angebot zum Thema verlässt man, um eine schöne Erfahrung reicher, das „BARNIM PANORAMA“.

Stalinez Tula 1952

Patriot 1960 Weimar

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siehe auch: https://klaustaubert.wordpress.com/2014/04/27/streiflicht-schorfheide/

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