Es gibt kaum jemanden, der dem ersten Deutschen im Weltall, Sigmund Jähn, nicht Ehre und Würdigung gönnt. Seine persönliche Zurückhaltung und Bescheidenheit sind bekannt, doch gegen seine „Vermarktung“ zum Ruhme Honeckers war er machtlos. Am 13. Februar 2017 wurde Sigmund Jähn übrigens 80 Jahre alt. Aus ein Grund für eine Erinnerung an die Tage von damals, über die ich als Nachrichtenjournalist miterlebte und mir die Autogramme der „Himmelsbrüder“ sicherte:
Als die DDR noch um weltweite Anerkennung rang, waren lange Menschenspaliere durch Städte und Dörfer gang und gäbe. Ob bei den Kremlführern Chruschtschow und Breshnew, dem nordkoreanischen Diktator Kim und dem jugoslawischen Oberpartisan Tito, der indischen Ministerpräsidentin Gandhi und anderen Gästen –, stets standen in Berlin Hunderttausende Menschen mit „Winkelementen“ an den Straßen zur Gäste-Residenz, dem Schloss Niederschönhausen.
Dennoch waren es nie so viele, wie beim propagandistischen Rummel um Sigmund Jähn und Wladimir Bykowski nach dem gemeinsamen Weltraumflug vom 26. August bis 3. September 1978 kurze Zeit später in der DDR eintraf. Und vielleicht waren auch nie zuvor so viele gern an die Fahrstrecke gekommen.
Zunächst gab es aber erst einmal den Weltraumflug selbst. Schon Tage vor dem Start des Vogtländers aus Morgenröte-Rautenkranz saßen wir als Sonderredaktion abgeschottet zusammen, ohne den Namen des DDR-Kosmonauten bereits zu kennen, der erst nach erfolgreichem Start gelüftet wurde . In meinem Notizbuch lese ich die aufmunternden Worte unseres Chefs , dass man „die Höchstleistung des Jahres“ von uns erwarte. Wir sähen einem „historischen Ereignis im Leben der DDR“ entgegen, einem „neuen Höhepunkt in den brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion zum Nutzen der gesamten Menschheit.“ Das Raumschiff sei schließlich nicht einfach nur ein Raumschiff schlechthin, es sei – und jetzt wieder wörtlich – „eine sozialistische Außenstation der Erde“.
Am 21. September 1978, einem Donnerstag, als nach dem Flug von Sojus 31 und der Raumstation Salut 6 die erfolgreichen „Himmelsbrüder“ in Berlin empfangen wurden, war mir die Aufgabe zugefallen, vom Flughafen Berlin-Schönefeld bis zum Schloss in Niederschönhausen vor dem offenen „Tschaika“ mit den beiden Kosmonauten und Ehrenbegleiter Honecker herzufahren und zu beschreiben, was sich über die rund zwanzig Kilometer lange Strecke abspielte. Zunächst wurden Jähn und Bykowski mit großem Hallo auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld empfangen. Soweit hat das auch jeder verstanden. Was dann folgte, war nicht mehr zu überbieten. An den Drehbüchern dafür war offenbar schon beim Start des ersten Sputniks 1957 gearbeitet worden. Allein an den offiziellen fünf Haltepunkten entfaltete sich eine Spontaneität, wie sie nur langfristig zu planen ist.
Entlang der Strecke waren aus Betrieben, Instituten, Verwaltungen, Schulen und Kindergärten mindestens 300.000 Frauen, Männer und Kinder für Beifall und Hochrufe an die Straße beordert worden. Das waren fünfzehn Personen auf jedem Meter dieser Strecke bzw. siebeneinhalb pro Meter beidseitig. Für fröhliche Stimmung sorgten laut Drehbuch 353 Orchester, Fanfarenzüge und Singegruppen. Alle 56 Meter ein Highlight. An Bock-, Brat- und Currywurst sowie Buletten, Bier und Brause gab es bei der der Durchfahrt der Kosmonauten an 540 Ständen keinen Mangel. Volksfest wäre ein untertriebene Umschreibung.
Je länger die Fahrt dauerte, desto mehr erschien es mir, dass Jähn und Bykowski nur die uniformierten Maskottchen für eine Triumphfahrt Honeckers durch Ostberlin waren. Ganze Bündel von Verpflichtungen wurden ihm von den Straßenrändern übergeben. Die Creme de la Creme der ostdeutschen Wissenschaft, Künstler von Bühne, Funk und Fernsehen, die bedeutendsten Ordensträger aus der Arbeiterschaft und der technischen Intelligenz standen wie Schulkinder an der Strecke und jubelten. Vielleicht ist das auch alles der Zeit geschuldet, in der dieser Flug stattfand. Andererseits waren zwölf Amerikaner schon sechsmal auf dem Mond gelandet. Aber diesmal war es eben ein Bürger der DDR, der die Erde umkreist hatte. Soweit wie er hatte vorher noch nie jemand die DDR verlassen dürfen, nicht einmal ein Künstler.
Sigmund Jähn, bescheiden und zurückhaltend wie eh und je, bei einer Veranstaltung auf dem Flugplatz Strausberg im Jahr 2015
Bald danach wurde den beiden Raumfahrern im Amtssitz des Staatsrates der neu geschaffene Orden „Fliegerkosmonaut der DDR“ angeheftet. Die runde Medaille aus vergoldetem Silber misst drei Zentimeter im Durchmesser, hängt an einer blauen Spange und wird auf der rechten Brustseite getragen. Dazu gab es den Ehrentitel „Held der Deutschen Demokratischen Republik“ und obendrein auch noch den Karl-Marx-Orden und 25.000 Mark Prämie. Da Jähn das Foto Honeckers mit im Weltall hatte, hätte ich mich nicht gewundert, wenn dieser sich selbst auch noch den Titel eines Fliegerkosmonauten verliehen hätte. Persönlich geflogen ist er allerdings erst elf Jahre später. Zusammen mit anderen „Helden“ aus allen Ämtern.
Orden „Fliegerkosmonaut der DDR“
Ich habe Sigmund Jähn einige Zeit später in Dresden erlebt, als er im Verlag Zeit im Bild einen Band über seinen Kosmosausflug begutachtete. Zufällig war ich auch dort, um ein Buch zu beenden. Schon am Morgen herrschte helle Aufregung im Haus. Siegmund Jähn kommt! Vor dem Verlagshaus wurden mobile Halteverbotsschilder aufgestellt, damit der erste Deutsche im All auch bequem vorfahren und parken kann. Die Verlagsleitung erwartete den Kosmonauten um zehn Uhr im Foyer. Nach einigen unruhigen Blicken des Verlagschefs auf die Uhr kam der Kosmonaut etliche Minuten später als vereinbart, was ihm sichtlich peinlich war. Sigmund Jähn entschuldigte sich mit den Worten: „Bei euch vor dem Haus ist Halteverbot. Ich habe mir erst in der Nähe einen Parkplatz suchen müssen.“
Was Sigmund Jähn alles „mitschleppen“ musste
Es wirft übrigens ein bezeichnendes Bild auf die propagandistische Absicht, die die SED mit dem Weltraumflug eines DDR-Bürgers verband, wenn man sieht, was der ernsthafte Wissenschaftler Dr. Sigmund Jähn in seinem „Rucksack“ im Auftrag der Partei alles in das Weltall mitschleppen musste. Vielleicht ist heute einiges davon in Museen zu betrachten, anderes vielleicht hier und da verschwunden. Hier die (bisher unveröffentlichte) Liste der Gegenstände, die sich mit Sigmund Jähn an Bord von Sojus 31 und Salut 6 befanden:
- Farb-Porträt des Generalsekretärs des ZK der SED (246 x 200 mm)
- Staatsemblem der DDR (massiv 900er Gold, Durchmesser 40 mm, Rückseite glatt)
- Fünf Gedenkmedaillen (Einzelporträts von Marl Marx, Friedrich Engels, W.I. Lenin, Ernst Thälmann, Wilhelm Pieck. Tombak, bronzefarben, Durchmesser 60 mm)
- Miniausgabe „Manifest der Kommunistischen Partei“ (Ledereinband rot, Abmessungen: 65 x 45 x 25 mm)
- Miniausgabe Goethes „Faust“ (Sonderausgabe, Spezialanfertigung von Goethes „Faust“ in 3 Bänden, Ledereinband rot, Abmessungen: 65 x 45 x 75 mm)
- Miniausgabe „Bildband DDR“ (Ledereinband rot, Abmessungen 65 x 45 x 25 mm)
- Bilaterales und multilaterales Symbol in Meissener Porzellan (Relief aus Meissener Porzellan mit dem Symbol „Interkosmos“ und dem Symbol „Gemeinsamer bemannter Weltraumflug UdSSR/DDR“. Die Grundplatte des Reliefs (45 x 90 mm) ist aus braunem Porzellan gefertigt. Die beiden Symbole (Durchmesser 40 mm) sind aus weißem Porzellan und mit der Grundplatte fest verbunden. Auf einer Metallplatte an der Rückseite sind der Tag des Starts sowie die Bezeichnungen der Raumschiffe Salut und Sojus eingeprägt.)
- Beschriftete Ersttagsbriefe (Weißer Briefumschlag mit Goldeindruck „Gemeinsamer Weltraumflug UdSSR/DDR“ (deutsch oben, russische unten) und stilisierter Weltraumstation „Salut-Sojus“, darüber im farbigen Aufdruck das bilaterale und multilaterale Symbol, rechts oben 20 Pfennig-Sonderbriefmarke. Darunter die Anschrift des Generalsekretärs des ZK der SED, Erich Honecker.)
- Sonderstempel der Deutschen Post (Datumsstempel aus Metall mit Holzgriff. Unter dem Datum steht das Wort „Interkosmos“. In der oberen Hälfte des Stempels steht in Russisch und in der unteren Hälfte steht in Deutsch der Text:„Kosmos–Post Sojus-Salut Gemeinsamer Weltraumflug UdSSR–DDR“)
- Staatsflaggen der DDR als Wettbewerbswimpel (Staatswimpel mit schwarz-rot-goldener Kordel eingefasst. Abmessungen 260 x 180 mm, spitz auslaufend. Für Betriebe, die im sozialistischen Wettbewerb zu Ehren des 30. Jahrestages der DDR auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik Spitzenleistungen vollbrachten. Vorderseite: schwarz, rot, gold mit Staatswappen der DDR und dem Text: „Für hervorragende Leistungen im sozialistischen Wettbewerb“. Rückseite: Gleicher Untergrund mit dem Text: „Ehrenwimpel der Besatzung des Raumschiffes Sojus 31. An Bord von Salut 6“, Datum)
- Leibnitz-Medaille der Akademie der Wissenschaften der DDR (Silber geprägt, Durchmesser 40 mm. Vorderseite: Porträt von G.W. Leibnitz mit folgender Inschrift: „Akademie der Wissenschaften der DDR 1700 – 1975“. Rückseite: Inschrift: „Man müsste gleich Anfangs das Werk samt der Wissenschaft auf den Nutzen richten. Wäre demnach der Zweck THEORIA CUM PRAXI zu vereinigen. G.W. Leibnitz“. Darunter befindet sich das Staatswappen der DDR.
- Sandmännchen des Kinderfernsehens der DDR (Figurengruppe des Fernsehens der DDR im Raumanzug, 18 cm groß. Auf dem rechten Oberarm befindet sich das bilaterale Symbol, auf der rechten Brustseite das multilaterale Symbol und auf dem linken Oberarm die Staatsflagge der DDR.)
- Abzeichen zum 30. Jahrestag der DDR (Massenabzeichen, das die Bürger der DDR zum 30. Jahrestag der DDR tragen werden, aus Metall mit Kunstharzüberzug.)
- Wimpel der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. (Auf beiden Seiten befindet sich auf weißem Grund mit einer gelben Kordel eingefasst das Emblem der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Maße: 260 x 180 mm, spitz auslaufend.)
- Halstuch der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ (Rotes Dederon, dreieckig. Maße: 950 x 570 x 570 mm.)
- Fünfzehn Wimpel mit Wappen der Hauptstadt der DDR und der 14 Bezirksstädte (Stoff, roter bzw. blauer Rand, mit schwarz-rot-goldener Kordel eingepasst. Vorderseite: weißer Grund mit jeweiligem Stadtwappen.) Rückseite: weißer Grund, in der Mitte schwarz-rot-goldener Streifen, darauf das Staatswappen der DDR. Abmessung: 140 x 220 mm.)
- DDR-Staatswimpel (Rechteckig, schwarz, rot, gold mit Staatswappen der DDR auf Seide gedruckt, Vorder- und Rückseite gleich. Abmessung: 240 x 160 mm)
- Zwei Staatsflaggen der DDR (Stockfahne aus Dederon, Abmessung: 1000 x 600 mm.)