16. Januar 2019

Liebe Gäste und interessierte Leser dieses Blogs, Wir, die Angehörigen von Klaus Taubert, müssen Euch die traurige Nachricht mitteilen, dass er am 16. Januar von uns gegangen ist. Nach einem langen schweren Kampf hat sein geschwächtes Herz aufgehört zu schlagen. Wir haben einen überaus liebenswerten Ehemann, Papa, Opi Und Uropa verloren.
Die Beisetzung fand im engsten Familienkreis statt.
Euch allen alles Gute !
Im Namen der Familie
Marcel Taubert

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Eine Erinnerung an Ingo Insterburg

Der Urvater des deutschen Comedy ist tot / Ingo Insterburg zielte seit 1967 volle Breitseiten auf die althergebrachte bürgerliche Kunst / Er war ein wahrer 68er / Mit über 80 begeisterte er mit seinen „Blödeleien“ landauf, landab noch volle Säle

Ingo Insterburg ist gestorben. Am 27. Oktober  erlag er mit 84 Jahren einem Krebsleiden. Geraume Zeit vor seiner Erkrankung besuchte ich ihn in seinem Haus in Berlin-Grunewald. Der ewige Junggeselle kam aus dem Bad, die langen, etwas ausgedünnten Haare frisch gewaschen. „Moment“, sagt er, „ich schalte den Insterburg-Fön ein.“ Das bedeutete sechsmal hintereinander kräftig den nach vorn geneigten Kopf schütteln. „Jetzt sind sie trocken“, sagt er. In seinem Wohnzimmer voller bunter Teppiche, deren Fransen allesamt exakt ausgerichtet, stehen auf einem flachen Tischchen sieben Teekannen. An den Wänden, bis hinunter in den Keller, hängen Insterburgs Gemälde. Besonders beeindruckt das nackte Damen-Sinfonieorchester. Endlich ist der Maestro soweit.

Damenorchester

Ingo Insterburgs Damenorchester

Insterburg & Co. schrieben Zeitgeschichte. Zwölf Jahre, von 1967 bis 1979, waren die deutschen Urväter des Comedy mindestens einmal im Jahr mit ihrem Lieder- und Blödelprogramm der Sonderklasse im Fernsehen. Die vier waren Ingo Insterburg, Karl Dall, Peter Ehlebracht und Jürgen Barz.

Laut Einschaltquote lag die halbe Nation vor Lachen auf dem Bauch. Dazu kamen fast jeden Monat Auftritte im Fernseh-„Musikladen“. Auch die Einschaltquoten in der DDR waren beträchtlich. Selbst Karl Dall nannte die Zeit mit Insterburg & Co. seine schönsten Jahre.

Insterburg

Ingos spezielle Darstellung von Insterburg und Co.

Frage: Ingo Insterburg, können wir uns ein Stündchen ernsthaft unterhalten?

Insterburg: Das wird mir aber schwer fallen.

Frage: Fast jeder in Deutschland kennt ihren größten Hit: „Ich liebte ein Mädchen in …“  Da war eins in Meißen, das tat Ihnen die Hose zerreißen, ein  anderes in Tegel, das hatte Ohren wie Segel usw. Haben Sie wirklich so viele geliebt?

Insterburg: Ich habe mehr geliebt, bis heute 120, aber damit wäre das Lied zu lang. Verliebt war ich noch öfter, aber man kann nicht alles haben. Ein wenig Dichtung ist aber schon dabei. Das mit den Mädchen in Thailand und auf dem Mars ist übertrieben. Da war ich noch nicht. 

Frage: Wie alt ist dieses Lied?

Insterburg: Ich schrieb es 1967, inzwischen singe ich die aktuelle Fassung. Übrigens, einige von vielen Versuchen, die Platte mit diesem Lied in die DDR zu schmuggeln, gelangen. Mir persönlich wurde sie mal an der Grenze weggenommen wegen der Zeile: „Ich liebte ein Mädchen in Plauen, da bin ich bald abgehauen.“ Vielleicht fanden die Grenzer das Lied auch so gut, dass sie die Platte heimlich mit nach Hause genommen haben. Ich habe sie ihnen gegönnt. 

Frage: 1979 drängte es Karl Dall, alleinigen Ruhm zu ernten. Insterburg & Co. löste sich auf. Trennten Sie sich friedlich?

Insterburg: Wir sind bis heute wie Geschwister, die sich auch mal zanken. Zu Karls Geburtstag im vergangenen Jahr schickte ich ihm einen besonders herzlichen Glückwunsch und bat ihn, ein Glas Wein auf mich zu trinken und in meinem Namen eine Zigarette auszudrücken. Ich trinke nämlich keinen Alkohol und rauche auch nicht. Karl hingegen beherzigt bis heute meine Lebensweisheit: Der beherrschte Genuss ist der wahre Genuss. 

Frage: In ihrem Buch mit einem Rückblick auf die ersten 23.456 Tage Ihres Lebens erinnern Sie an Ihre Zeit mit Klaus Kinski.

Insterburg: Das war 1959, als ich noch an der Berliner Hochschule für Bildende Künste studierte. Die Freundin eines Freundes war gerade die Freundin von Kinski. Der suchte einen Gitarristen für Brecht-Balladen. Ich spielte ihm etwas vor, und er war zufrieden. Es war von Vorteil, dass ich immer gleich die Tonart finde, in der jemand singt, denn selten begleitete ich einen Sänger, der so oft von einer Tonart in eine andere geriet wie Klaus Kinski. Übrigens bin ich der einzige, mit dem er sich nie gezankt hat. Wahrscheinlich schätzte er meine Musikalität. Kinski nannte mich „Guitar-Ingo“, so stand es auch auf den Plakaten. An ein Ereignis erinnere ich mich ganz besonders ungern: Als Kinski im Berliner Titania-Palast die Gage bekam, stand der Gerichtsvollzieher daneben und steckte sie ein. Meine  500 Mark auch. Die musste mir ein Anwalt übers Gericht  herausklagen. 

Frage: Sie gelten als begnadeter Instrumentenbauer. Ihre Wohnung gleicht einer Ausstellung. Keine Klobürste ist vor Ihnen sicher. Was haben Sie alles gebaut?

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Eines seiner vielen selbstgebauten Instrumente

Insterburg: Eine Konzertnagelgeige, eine Untertassengeige, ein Kurzhalscello, eine Waschmaschinentrommel-Pauke, aus Klodeckel und Gardinenstange eine Brillenharfe, eine riesige Urknall-Trommel  – im Moment kann ich gar nicht alle nennen. Allen klangfähigen Gegenständen kann man Töne entlocken.

Frage: Wie viele Instrumente besitzen Sie?

Insterburg: Bei der letzten Zählung waren es 120. Soll ich schnell noch mal nachzählen?

Frage: Nein, ich glaube Ihnen. Wie viele davon haben Sie selbst gebaut?

Insterburg: Etwa 25. Einen guten Überblick bekommen Sie, wenn Sie mal in meine Vorstellung  kommen. Da spiele ich 20 Instrumente. Manchmal mehrere gleichzeitig.

Frage: Wie oft sind Sie mit ihrem Solo-Programm unterwegs?

Insterburg: Da ich seit 1994 allein auftrete, beschränke ich mich im Jahr auf etwa 40 Konzerte, denn jede Veranstaltung soll mir selber Spaß machen. Meine Touren erstrecken sich von  Schleswig-Holstein bis Bayern, von der Oder bis zum Rhein. 

Frage: Die Wände Ihrer Wohnung beherbergen eine komplette Insterburg-Ausstellung. Alte Ölbilder, neue Aquarelle, alles eigene Werke. Wollen Sie nicht mal ausstellen?

Insterburg: Nein. Die  Vorbereitung, z.B. Rahmen besorgen und die Bilder einrahmen, ist mir zu lästig. Ich sehe mir meine Bilder selber an, das reicht.  

Frage: Besonders eigenwillig ist ihr Gemälde mit einem blonden nackten Damen-Sinfonieorchester. Wie kamen Sie auf einen solchen Einfall?

Insterburg: Ich habe mal zwei nackte Elfen gemalt, die im Wald Harfe spielen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit ein ganzes Orchester. 

Frage: Ingo Insterburg ist der Künstlername für Ingo Wetzker, ausgewählt nach Ihrer ostpreußischen Geburtsstadt. Waren Sie nach der Kindheit wieder einmal im heutigen Tschernjachowsk, wie Insterburg in Russland seit 1946 heißt?

Insterburg:  Ich war 1995 einmal dort. Da wo mein Elternhaus stand, ist Gras drüber gewachsen. Da hält sich auch das Heimatgefühl in Grenzen. Richtig warm ums Herz wird mir allerdings, wenn ich öfter mal nach Bernburg komme, wo ich meine Jugend verbrachte, bis ich Ende 1953 mit dem Fahrrad nach Westberlin abgehauen bin. In Bernburg gab ich im Dezember 1999 eines meiner allerschönsten Konzerte. Übrigens gehört das Publikum in den neuen Bundesländern zu meinem Lieblingspublikum. Irgendwie haben die ein Gefühl für richtig guten Humor – also meinen.

Frage: Auf vielen Fotos sieht man Sie mit einer Krone. Hat die eine besondere Bedeutung?

Insterburg: Da ich wohl nie ein Bundesverdienstkreuz kriegen werde, habe ich sie mir selbst bei einem Glas Brennnesseltee als Bundesverdienstkrone verliehen. Mit Krone der Volksmusik oder Krone der Geschmacklosigkeit – wo ist da der Unterschied? – hat das nichts zu tun.  

Inster

Frage: Sie trinken Brennnesseltee?

Insterburg: Nicht nur. Ich habe sieben Teekännchen, die alle einer bestimmten Sorte vorbehalten sind. Aus den verschiedenen Kannen trinke ich am Tag mindestens zweieinhalb Liter Tee, weil das gesund ist.

Frage: Sie haben 1973 den wenig erfolgreichen Roman „Das Leben als Otto Darmstatt“ veröffentlicht, jetzt Ihre Lebenserinnerungen, außerdem verfassen Sie Raucher- und Trinkerlyrik, dass einem das Blut gefriert. Sie malen und schreiben Märchen im Stile des von Ihnen geprägten real-romantischen Phantastizismus, die es mit eigener Musik auch auf  einer CD gibt.  Als was wollen Sie in die Kunstgeschichte eingehen?

Insterburg: Als ein Mensch, der sich bewusst ist, dass die Kunst ein schmaler Pfad ist und der versucht, beim Balancieren nicht auf die Fresse zu fliegen. 

Frage: Wie schätzen Sie als einer der Urväter des deutschen Comedys die Inflation entsprechender Sendungen im heutigen Fernsehen ein?

Insterburg: Ein kluger Schauspieler hat einmal gesagt, es gibt 2.000 Witze. Die kann man variieren, aber mehr gibt es nicht. Deswegen sollte man auch sparsam damit umgehen, um sich nicht in die Ordinärsprache flüchten zu müssen. Es gibt doch kaum noch feine Andeutungen, da wird einfach drauf gehauen. Ich habe mich immer an die Regel gehalten. Dafür ein Beispiel:

Ein Mädchen, das ins Wasser plumpst

ist sauber, wenn man es dann rauszieht.

Danke, das reicht. 

 

 

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Kritiken zu „Generation Fußnote“

UKro:

Ich bin neugierig, wie Menschen ihr Leben Kindheit, Jugend Freizeit und Arbeit erlebt haben und vergleiche mit meinen Erinnerungen aus Westdeutschland. Ich versuche seit der Vereinigung Einstellungen und Reaktionen meiner ostdeutschen Landsleute zu deuten. Dieses Buch gibt mir häufig eine Erklärung, ein „ach-so“, oder „ging ja dort nicht anders“.

Norbert K.:

Ein interessantes Buch, das die DDR-Geschichte aus einer realistischen Perspektive beschreibt. Leider ist es nur noch gebraucht zu bekommen. Es könnte vom Verlag aber auch als ebook veröffentlicht werden. Ich habe mein Exemplar schon vielen Freunden zum Lesen gegeben.

Christian1970:

Weder weinerlich-(n)ostalgische DDR-Verklärung, noch pauschale Verdammung all‘ dessen, was politisch sowie gesellschaftlich zwischen 1949 und 1989 zwischen Rügen und Erzgebirge passiert ist: Schön, dass es auch solche Darstellungen der DDR-Zeit gibt !

Aus Badische Neueste Nachrichten:Tatsächlich bieten seine Bekenntnisse einen ebenso erhellenden wie manchmal erschreckend komischen Blick hinter die Kulissen des zweiten deutschen Staates, der von Anfang an mit der Wahrheit und den Fakten auf Kriegsfuß lebte. So brauchte er eben auch eine Journaille, die Mängel kaschierte, Feindbilder bediente und die Herrschenden hofierte.

Aus SoundBase OnlineMusikmagazin:

Auch wenn sich Generation Fußnote mit Bürokratie beschäftigt, ist das Buch alles andere als dröge und trocken. Das Thema ist für Nichteingeweihte sowieso ein gefundenes Fressen und ein Blick hinter die Kulissen. Die Schilderungen von Taubert beschönigen nichts. Er schont dabei weder sich selber noch sein, wie er es nennt, vorletztes Vaterland. Hier wird ein kleiner Teil deutscher Geschichte großartig aufbereitet und erzählt. Der Sprachstil und das Einflechten ironischer, zynischer und sarkastischer Elemente, ohne dabei lächerlich zu wirken, ist schon eine ganz große Schreibkunst, die Taubert anscheinend aus dem Effeff beherrscht und dem Leser so viele, viele schöne Stunden bereitet. Das Gesamtwerk darf somit gerne als eine Sternstunde deutscher Sachliteratur angesehen werden.

Aus Generalanzeiger:

Doch im Unterschied zu vielen anderen, die bis zuletzt Anteil an der Aufrechterhaltung des Systems hatten, geht Taubert in seinem Buch schonungslos mit sich ins Gericht un erzählt, wie deer Opportunismus seinen Alltag bestimmte. In Generation Fußnote beschreibt er exemplarisch für eine ganze Generation – , wie er in der DDR sozialisiert wurde, sich mit dem System solidarisierte und die Chancen nutzte, die ihm der Staat bot, der deafgür aber absolute Loyalität einforderte. Taubert erzählt fesselnd und humorvoll aus dem Alltag der DDR und aus den Hinterzimmern der DDR-Bürokratie und schildert zahlreiche Anekdoten, die schon damals die Diskrepanz zwischen dem Selbstbildnis des Staates und der Realität offen legten.

Aus Online-Magazin genussmaenner.de:

Um die DDR ranken sich immer mehr Mythen und Geschichten, die von Leuten verbreitet werden, die nicht viel vom Leben in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wissen. Davon setzt sich sehr wohltuend Generation Fußnote ab. Darin schildert der ehemalige ADN-Journalist Klaus Taubert auf ebenso sachliche wie humorvolle Art das Leben eines Journalisten in der DDR. Als Hofberichterstatter von Ulbricht und Honecker war er sehr nahe der Macht, beobachtete die Ränkespiele und die Unfähigkeit der Genossen. Wohltuend ist dabei, dass sich der Autor weder zum Wiederstandskämpfer hochstilisiert, das Leben in der DDR in einer Richtung verklärt, noch aus seinem Herzen eine Mördergrube macht. Generation Fußnote ist ein überaus lesenswertes Buch für alle, die einen authentischen Blick unter die offizielle Bettdecke der DDR werfen wollen.

Aus Kölner Stadt-Anzeiger:

Ebenso indiskutabel findet der Autor Selbstmitleid und Gejammer beim Blick zurück. Gerade der lakonische Grundton und die beiläufig eingestreuten Gemeinheiten machen Generation Fußnote so lesenswert… Wenn man nicht wüsste, dass es die Deutsche Demokratische Republik tatsächlich gegeben hat, könnte man manche Passagen auch als Satire über ein nicht existentes Land lesen.

Markus Schwenke:

Wer Geschichte leicht verdaulich, humorvoll bis satirisch mag, sollte zu diesem Buch greifen. Die DDR wie sie leibt und lebt, lebensnah in höchsten Kreisen aufgespießt von einem, der mittendrin war und sich seine eigenen Gedanken und Notizen gemacht hat. Mich hat das Buch begeistert. Außerdem verfügt es im Anhang über eine sehr übersichtliche Chronik, die man immer schnell zur Hand haben kann, wenn es um die Geschichte des untergegangenen deutschen Teilstaates geht.

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Mode der Zwanzigerjahre

Aus dem Familienalbum:  Mode der Zwanzigerjahre  (ohne Worte)

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„Einheit“ mit der Zwangsjacke

Wie die KPD die SPD über den Tisch zog

Am 29. Juli 1948 beschloss der SED-Parteivorstand die „Säuberung der Partei von feindlichen und entarteten Kräften“. Gemeint waren einstige Sozialdemokraten, gewerkschaftliche Interessenvertreter und andere Oppositionelle. Unter den SPD-Mitgliedern gab es in der SPD eine große Gegnerschaft zur Vereinigung mit der KPD. Zehntausende traten der Einheitspartei nicht bei. Den Westberliner Sozialdemokraten wurde auf dem Vereinigungsparteitag am 19./20. April 1946 kein Stimmrecht gewährt.

Der wahre Grund für die „Säuberung“: Bei den Landtagswahlen 1946 verfehlte die SED ihr Wahlziel. In keinem der fünf ostdeutschen Bundesländer erreichte sie die absolute Mehrheit, trotz des Drucks der sowjetischen Besatzer und Schikanen gegen Spitzenpolitiker der „Blockparteien“. In Sachsen-Anhalt und in Brandenburg waren sogar bürgerliche Koalitionen ohne SED, also von CDU und LDP, möglich.   

Dazu passt, dass im August 1949 auf dem ersten Kongress der Nationalen Front – die Dachorganisation aller Parteien und Massenorganisationen und späterer SED-Wahlverein – die SED die „völlige rechtliche Gleichstellung der früheren Mitglieder der Nazipartei“ sowie eine Amnestie für die unbelasteten Mitglieder der NSDAP forderte. Frühere Beamte, Soldaten und Offiziere der deutschen Wehrmacht sowie ehemalige Nazis sollen in der Nationalen Front mitarbeiten. Im Juli 1951 registrierte der 3. SED-Parteitag 175.000 ehemalige NSDAP-Mitglieder und Wehrmachtsoffiziere als Parteimitglieder. Sie bilden ein willfähriges „Gegengewicht“ zu den Sozialdemokraten in der SED.

Der große Schlag gegen „unangepasste“ ehemalige SPD-Mitglieder erfolgte 1953. Justizminister Max Fechner, der neben Ulbricht stellvertretender SED-Vorsitzender war, wurde wegen Verteidigung des Streikrechts nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 verhaftet, des Verrats bezichtigt und auf Jahre eingesperrt. Danach begann eine Hexenjagt gegen die Streikkomitees.

Wahlschlappen durfte es in der DDR nicht mehr geben, deshalb wurden mit einer Verwaltungsreform 1952 die selbständigen Länderregierungen abgeschafft und die Länder aufgelöst. Nach dem ostdeutschen Beispiel wurden übrigens auch in Rumänien, Ungarn, Tschechien und Polen kommunistische und sozialdemokratische Parteien unter Sowjetdruck zwangsvereinigt.

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Wie eine Altstadt gerettet wurde – Eine Stadt zum Verlieben

Stippvisite in der Blumenstadt Erfurt

Kaum eine andere Stadt hat Johann Wolfgang von Goethe so oft besucht wie Erfurt. Nur ein Katzensprung von Weimar entfernt, muss es doch genügend Gründe gegeben haben, der Blumenstadt an der Gera mehrere Dutzend Mal die Ehre zu erweisen.

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Dom und Severikirche vom Petersberg aus gesehen

Ganz sicher war es der Franzosen-Kaiser Napoleon, der am 2. Oktober 1808 in der ersten Etage der kurmainzischen Statthalterei – heute Sitz des Ministerpräsidenten von Thüringen – den damals berühmtesten Dichter empfing. „Sie sind ein großer Mann“, hieß er seinen Gast willkommen.

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Der Dom ist von überall gut zu sehen. Hier ein Blick aus der Altstadt

Vielleicht galt Goethes besonderes Interesse aber auch dem im Jahr 1253 geweihten Erfurter Dom, vor dem der merkwürdige Heiler, Schwarzkünstler und Wahrsager Dr. Faustus im 15. Jahrhundert  sein Unwesen getrieben haben soll. Die Sage um ihn inspirierte Goethe zu seinem „Faust“. Oder war es gar die Thüringer Bratwurst, deren  Duft auf dem Domplatz kaum jemand entgeht und die seit Jahrhunderten nicht klein zu kriegen ist.

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Ehemalige kurmainzische Statthalterei. Heute Sitz des Thüringer Ministerpräsidenten. Im Zimmer mit dem Erker (links) traf Napoleon Goethe

Das Wahrzeichen Erfurts ist das Ensemble von katholischem Marien-Dom und Severikirche. Martin Luther, der 1507 im Dom seine Priesterweihe empfing, nannte die Stadt „Erfordia turrita” – türmereiches Erfurt. Im Mittelalter hatte die Stadt 38 Kirchen, von denen 27 erhalten sind.

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Blick auf dem Domplatz und viele Kirchtürme im Hintergrund

Es ist nicht selbstverständlich, durch das alt-ehrwürdige Erfurt spazieren zu können. Dem SED-Staat waren die alten, erhaltungswürigen Bauwerke ein Dorn im Auge. Sie sollten abgerissen und durch Platten- und Monumentalbauten ersetzt werden. Doch davon später mehr.

Die Silhouette  von Mariendom und St. Severi ist seit 25 Jahren eine einzigartige, siebenhundertjährige Kulisse, wenn sich in jedem Sommer die 70 Domstufen in ein Veranstaltungs-Highlight Thüringens verwandeln. Sie bilden eine spektakuläre Open-Air-Bühne für die Domstufenfestspiele, die inzwischen weit über Erfurts Grenzen hinaus bekannt und beliebt sind.   

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Die für einen sommerlichen Theaterabend vorbereiteten 70 Domstufen

In Erfurt inszenierte Kaiser Napoleon in seinem Größenwahn 1808 im einstigen Universitäts-Ballhaus in der Futterstraße einen Fürstenkongress, an dem neben vielen anderen auch Zar Alexander von Russland teilnahm, nach dem übrigens der Berliner Alexanderplatz benannt wurde. Napoleon ging es um die Neuaufteilung Europas. Die allerdings übernahm wenige Jahre später, als der Korse nach seinem „Waterloo“ auf St. Helena verbannt war, der Wiener Kongress.

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Ansichten der berühmten Krämerbrücke mit der Ägidienkirche

Deutschland wurde in 34 Königreiche, Kurfürstentümer, Herzogtümer, Fürstentümer und Freie Städte zerlegt. Das von Napoleons Gnaden zwischen 1806 bis 1814 existierende Fürstentum Erfurt wurde 1815 Preußen zugeschlagen. Das Haus in der Futterstraße wurde im Gründungsjahr des zweiten Deutschen Reichs 1871 zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. in „Kaisersaal“ umbenannt.

Zu den vielen geschichtlichen Ereignissen, die sich mit diesem Haus  verbinden, gehört die Uraufführung von „Don Carlos“ im Jahr 1791 in Anwesenheit Friedrich Schillers. Es schien, als sei die Forderung von Marquis Posa an den König, „Geben Sie Gedankenfreiheit“, genau hundert Jahre später auf dem berühmten Erfurter Parteitag der SPD eine Forderung an Wilhelm II. gewesen. Damals resümierte Rosa Luxemburg: „Wir sind wieder bei Marx.“ Nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 mit dem Verbot der SPD gehörten das Wahlrecht, der Achtstundentag und der Arbeitsschutz zu den Zielen des Erfurter Programms.  

Kaisersaal Der Kaisersaal in der Futterstraße. Hier inszenierte Napoleon seinen Fürstenkongress, und hier fand 1891 der Erfurter Parteitag der SPD nach dem Verbot der SPD statt

Wie viele Theaterbesucher, Fürsten, oder Sozialdemokraten damals über die benachbarte 125 Meter lange und 19 Meter breite Krämerbrück spazierten, ist nicht überliefert. Die Brücke über die Gera bestand vor mehr als tausend Jahren aus Holz und wurde nach einem Brand 1325 durch einen heute noch bestehenden Steinbau ersetzt. Die eingangs am östlichen Brückenkopf erbaute gotische Ägidienkirche entstand im selben Jahr.

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Ansicht der Krämerbrücke mit einigen der 32 mittelalterlichen Häusern

Die Brückenkonstruktion ist die einzige nördlich der Alpen, auf der Häuser stehen. Vergleichbares gibt es nur in Florenz und Venedig. Dieser „Überweg über die Gera“, besagt eine Inschrift, gehörte zur Ost-West-Handelsstraße zwischen Kiew und Frankfurt am Main. Von den ehemals 62 Häusern mit Wohn- und Handelsräumen sind 32 erhalten und sorgsam restauriert. Viele kleine, liebevoll gestaltete Geschäfte, vor allem des Kunsthandwerks, haben hier ihren Sitz.

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Fischmarkt mit (l.) Haus zum Breiten Herd

Zum Roten Ochsen und St. Martin

Blick auf den Fischmarkt mit seinen dem neugotischen Rathaus, vielen berühmten alten Bürgerhäusern und dem steinernen heiligen Martin als Schutzpatron der Stadt aus dem 16. Jahrhundert

Hierschlief Schweenkönig Gustav Adolf

Im Gasthaus „Zur Hohen Lilie“ am Domplatz nächtigte im 30-jährigen Krieg der Schwedenkönig Gustav II. Adolf

Erfurt war einst so bedeutend, dass  Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) in seinen Mauern fünf Reichstage abhielt. Zudem wurde am 1. Mai 1392 auch eine der ersten deutschen Universitäten – einzigartig damals mit vier Fakultäten – gegründet, nach Bologna, Paris, Oxford, Prag, Wien, Heidelberg und Köln die achte in Europa. In die Stadt der Wissenschaften zog es fortan viele berühmte Persönlichkeiten, wie den „Rechenmeister der Deutschen“ Adam Ries. Klangvolle Namen, die sich mit der Universität verbinden, bildeten Anfang des 15. Jahrhunderts den Erfurter Humanistenkreis. Neben Martin Luther Erasmus von Rotterdam,  Ulrich von Hutten, Christoph Martin Wieland und andere. Sie trafen sich im gut erhaltenen Haus „Zur Engelsburg“. Aus ihren Kreisen erschienen die so genannten „Dunkelmännerbriefe“, die sich gegen Unmoral und Unwissenheit sowie katholische Spätscholastik, vor allem der Dominikanermönche, wandten. 

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Das berühmte Haus „Zur Engelsburg“ mit dem „Humanistenerker“. In diesem Zimmer trafen sich die  geistigen Wegbereiter der Aufklärung zu Beginn des 16. Jahrhunderts

Erfurt gehörte im späten Mittelalter zu den großen und reichen deutschen Handelszentren. Durch den Waidanbau handelten die Erfurter europaweit mit ihrer berühmten blauen Farbe. Eine mittelalterliche Waidmühle befindet sich auf der Cyriaxburg, wo in den sechziger Jahren eine Internationale Gartenbauausstellung eröffnet wurde. Der gewerbsmäßige Gartenbau und die Gemüsesamenzucht wurden durch Christian Reichart im 18. Jahrhundert beispielhaft für Deutschland in Erfurt begründet, das seinem Beinamen „Blumenstadt“ alle Ehre macht. Große Gartenbauunternehmen wie Christensen und andere  fühlen sich bis heute Reicharts Vermächtnis verpflichtet.  

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Blumen – wo immer sich eine Möglichkeit zum Anbau ergibt

Von der Krämerbrücke sind es nur ein paar Schritte zum Fischmarkt. Rund um das neugotische Rathaus reihen sich reich verzierte spätmittelalterliche Bürgerhäuser, darunter das Haus „Zum Roten Ochsen“, in dessen Fries über dem Erdgeschoss Figuren die sieben Tage der Woche symbolisieren und wo zudem die griechischen Musen dargestellt sind. Das „Haus zum Breiten Herd“ ist eines der meistfotografierten Gebäude der Stadt. Auf dem Fischmarkt präsentiert sich aus Stein aus dem Jahr 1561 der heilige Martin als Schutzpatron der Stadt. Ein paar Schritte nur sind es bis zum Technischen Denkmal und Museum „Neue Mühle“, in der bis heute die vorgeführte Mahlkunst früherer Zeiten beeindruckt.

Alte Mahltechnik

Museum „Neue Mühle“ in der Hermann-Jahn-Straße

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Ausgegrabenes Stück der alten Stadtmauer vor dem neuen Theater der Stadt

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Gern genutzter Service für Stadtrundfahrten

Mit Martin Luther ist Erfurt ganz besonders verbunden. Zu Beginn des 16. Jahrhundert studierte er an der Erfurter Universität zunächst Rechtswissenschaft, stieg aber bald auf Theologie um. Nach dem Studium lebte er als Mönch bis 1511 im Erfurter Augustinerkloster. Wenige Jahre später übergab der Reformator in Wittenberg seine 95 Thesen der Öffentlichkeit. Mit seiner Übersetzung der Heiligen Schrift aus dem Griechischen ins Deutsche auf der Wartburg bei Eisenach gab Luther den Deutschen eine einheitliche Schriftsprache.

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Luther-Denkmal vor der eingerüsteten Predigerkirche am Anger

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Die  Pforte zu einer der ältesten deutschen Universitäten, durch die viele Jahre lang Martin Luther zum  Studium schritt

In den reformierten Kirchen wurde nicht mehr auf lateinisch gepredigt, sondern für alle verständlich. Und die Bibel war  fortan kein Buch mit sieben Siegeln mehr, sondern wurde in viele Haushalten gelesen. Luthers  reformatorisches Wirken hat wie  kaum ein anderer die Welt verändert, die katholische Kirche gespalten und den evangelischen Protestantismus zu einer neuen, von Rom unabhängigen Religion des Volkes begründet.  

 

Zur Altstadt gehören zahlreiche enge Gassen, wie sie einst Bild zum Mittelalter gehörten

Im alten Zentrum von Erfurt, das in der DDR sukzessive abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden sollte, ist heute ein beeindruckendes städtebauliches Flächendenkmal geworden mit einer Geschichte, die man sich am besten nur erlaufen kann. Selbst als langjähriger Erfurter, der ich war,  erkannte man noch vor wenigen Jahrzehnten unter dem drohenden Verfall nicht, welcher architektonische Schatz der Vernichtung preisgegeben werden sollte. Die friedliche Revolution in der DDR 1989 mit vielen Demonstrationen auch in Erfurt verhinderte -, auch dank mangelnder Baukapazitäten – dass das Projekt verwirklicht wurde. Viele tausend Erfurter hatten sich bereits im März 1970, als Willy Brandt in der Stadt weilte, ihren Willen durchgesetzt, als die den abgesperrten Bahnhofsvorplatz stürmten und laut im Chor riefen „Willy Brandt ans Fenster“. Kurz darauf öffnete der SPD-Vorsitzende in der ersten Etage des Hotels, wo er mit Willi Stoph zusammentraf, das Fenster und winkte freundlich lächelnd den Bürgerinnen und Bürgern zu.

Im Hotel Erfurter Hof weilte 1970 Willy Brandt

Als Willy Brandt 1970 in Erfurt weilte, riefen Tausend: „Willy Brandt ans Fenster“. Der SPD-Vorsitzende zeigte sich den Massen lächelnd winkend.  Auf dem Dach ist der Ruf verewigt

Wer einen Blick auf die Stadt werfen möchte, der steige vom Domplatz hinauf auf den Petersberg, dessen alte Zitadelle wiederum ihre eigene Geschichte erzählt, und schaue rundherum auf eine in alter Schönheit wiedererstandene Stadt inmitten Deutschlands. Erfurt ist eine Stadt zum Verlieben. Für mich war sie es im wahrsten Sinne des Wortes vor 60 Jahren.

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Der „Leierkastenmann“ verbreitet gute Laune in der Marktstraße zwischen Fischmarkt und Domplatz

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Der geheime Kali-Deal

Klaus Taubert

Bischofferode wurde zum  Fanal für die Abwicklung ostdeutscher Arbeitsplätze

Vor 25 Jahren, Im Juli 1993, traten Kali-Kumpel des Werkes „Thomas Münzer“ in Bischofferode in den Hungerstreik, der 81 Tage lang im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Die Bergarbeiter protestierten gegen den von der Treuhandanstalt inszenierten Kali-Deal. Mit der Mitteldeutschen Kali AG (MdK), die zu den größten Exporteuren der Welt gehört, wird die westdeutsche BASF-Tochter Kali und Salz vor dem Untergang gerettet. Mehr als zwanzigtausend Kumpel fliegen aus ihren Jobs. Ein Rückblick mit neuen, bisher unbekannten Details aus dem Fusionsvertrag.

Die Kali und Salz AG (K+S), die zu 80 Prozent der BASF gehört, ist schwer angeschlagen. Jahr für Jahr schreibt sie rote Zahlen im zweistelligen Millionenbereich. Die westdeutschen Lagerstätten sind nicht mehr ergiebig, der Abbau ist nicht mehr effizient genug, und auf dem Weltmarkt herrscht ein Überangebot an Kaliumoxid (K2O) zu Niedrigpreisen. Um weiter wirtschaftlich mithalten zu können, sind gewaltige Rationalisierungen nötig…

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Der Marshallplan und die DDR

Am 16. April 1948 wurde in Paris der Marshallplan unterzeichnet. Er umfasste ein Hilfsprogramm für Westeuropa im Umfang von 12,4 Mrd. Dollar (heute 131 Mrd. Dollar). Damit leistete die USA 16 westeuropäischen Ländern mit Krediten, Rohstoffen, Lebensmitteln und anderen Waren Aufbauhilfe. Von den auf vier Jahre angelegten 14 Milliarden Dollar erhielt Westdeutschland 1,4 Mrd. (heute ein Wert von 9 Mrd. Dollar). Das „European Recovery Program“ (ERP) war erstmals vom damaligen US-Außenminister George C. Marshall in einer Rede an der Harvard-Universität 1947 verkündet worden und trägt daher seinen Namen. Ohne diese Hilfe wäre der wirtschaftliche Aufschwung in der 1949 gegründeten Bundesrepublik nicht so erfolgreich verlaufen.

Die Sowjetunion lehnte auf der Londoner Außenministerkonferenz Ende 1947 eine Beteiligung am Marshallplan ab, bezeichnete ihn als Versuch der Einmischung in die Souveränität der europäischen Staaten. Das Interesse Bulgariens, der Tschechoslowakei, Polens und Ungarns am Marshallplan hatte unter den Sowjets keine Chance. Die Gründung des  Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) im Januar 1949 war da nur ein schwacher Trost.

 Im Osten erfolgte die Hilfe in umgekehrter Richtung. Durch die UdSSR wurden in Ostdeutschland 2.000 bis 2.400 der wichtigsten und bestausgerüsteten Betriebe demontiert. Zudem 11.800 Kilometer Eisenbahnschienen in die Sowjetunion verbracht und damit das Schienennetz um die Hälfte reduziert.

Ab Juni 1946 erfolgte die Entnahme aus der laufenden Produktion. Rund 200 SAG-Betriebe in der DDR  (SAG: Sowjetische Aktiengesellschaft. Das waren Betriebe im Osten, die in das Eigentum der UdSSR übergegangen waren) produzierten von 1946 bis 1953 im Maschinenbau, in der Chemie, der Metallurgie und in anderen Betrieben  mit rund 300.000 Beschäftigten jährlich durchschnittlich fast ein Viertel des DDR-Bruttosozialprodukts. Zu diesen Unternehmen gehörten bis zu ihrer Rückgabe Ende 1953 so bekannte Betriebe wie Eisen- und Hüttenwerk Thale, Schwermaschinenbau Magdeburg, Transportanlagen Leipzig, Pressen- und Scherenbau Erfurt, Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow, Filmfabrik Wolfen und Chemische Werke Schkopau.  Auf der Grundlage von Archivmaterialien kamen Experten der Berliner Humboldt-Universität auf eine Gesamtsumme von mindestens 54 Milliarden Reichsmark bzw. Ost-Mark an Reparationsleistungen allein der SAG-Betriebe für die UdSSR.

Hinzu kamen die von der DDR getragenen anteiligen Besatzungskosten für die Sowjetarmee, die einen Anteile an den Einnahmen des Staatshaushaltes der DDR von zwölf Prozent 1949 ausmachte, das waren rund 2,2 Milliarden DM. Dieser Anteil ging bis 1958 auf unter fünf Prozent zurück. Ab 1959 wurde der DDR die jährliche Zahlung  in Höhe von 600 Millionen DM, was einem Anteil von 25 Prozent der Besatzungskosten entsprach, erlassen.

Mit all diesen Maßnahmen für die Entschädigung der UdSSR hatte die Ostzone/DDR die höchsten im 20. Jahrhundert bekannten Reparationsleistungen erbracht. Sie betrugen 99,1 Mrd. DM – die der  damaligen Bundesrepublik Deutschland hingegen nur 2,1 Mrd. DM. Laut  Experten betrug die Reparationslast der DDR 97–98 Prozent Gesamtdeutschlands. Das ist pro Person in der DDR das 130-fache gegenüber einer Person der Bundesrepublik. 

Über einen weiterern Umstand, der der Bundesrepublik zugute kam, ihr aber nicht vorgeworfen werden kann, schrieb Walter Ulbricht am 30. Dezember 1961 in der Moskauer „Prawda“. Er bezifferte den wirtschaftlichen Schaden für die DDR durch Abwerbung durch die BRD und Massenflucht von Bürgerinnen und Bürgern der DDR bis zum Mauerbau mit rund 30 Milliarden DM. Von 1952 bis 1961 wechselten mehr als 20.000 Ingenieure und Techniker, 4.500 Ärzte und über 1.000 Hochschullehrer aus der DDR in die Bundesrepublik.

Ein Kommentar

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Wohin mit Marx und Engels?

Schon die SED nahm sich viel Zeit  mit ihren Gallionsfiguren – Willkommen im Volkspark Friedrichshain… oder?

Die Berliner Landesregierung steht auf dem Schlauch. So weiß nicht so recht, wohin mit Marx und Engels. Jedenfalls was das Denkmal betrifft. Die in doppelter Lebensgröße gegossenen Bronzefiguren mussten wegen der neuen U5 (vom Rathaus zum Brandenburger Tor) ihren Platz räumen und verharren nun an der Seite auf ihr neues Domizil, um nicht ganz und gar in Vergessenheit zu geraten. Dabei gibt es keinen Grund sich schwerzutun mit einer Entscheidung, zumal die SED-Führung mehr als fünfunddreißig Jahre brauchte, um sich über ein Denkmal für die Begründern ihrer Weltanschauung klar zu werden.

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Marx-Engels-Denkmal  – in der DDR ein  unnahbares Monument, an dem man allenfalls ein paar Blumen hinterlassen konnte

Zunächst war alles ganz anders geplant. Es fing an am 17. Januar 1951. Die 4. Tagung des SED-Zentralkomitees riet dem Magistrat von Groß-Berlin (also Ostberlin), am Lustgarten ein Marx-Engels-Denkmal zu errichten. Da die Klassiker des Sozialismus, besonders Karl Marx, der Lust nie abhold gewesen waren und beide ganz in der Nähe studiert haben, kann man sich gut und gerne mit einem solchen Vorschlag anfreunden. Das Monument sollte an der westlichen Seite des Lustgartens, zwischen Schlossbrücke und Werderstraße, stehen.

Natürlich bedurfte es dazu eines Denkmal-Komitees, dem keine Geringeren als Präsident Wilhelm Pieck als Vorsitzender sowie Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Friedrich Ebert und noch ein paar andere aus der Kaderelite angehörten. Von diesem Komitee hat man später nie wieder etwas gehört. Es mag untergegangen sein unter der Unmenge von Denkmalen, die in Stadt und Land zwischen Rostock und Thüringer Wald aus dem Boden schossen und immer auch irgendwen ehrten – von Agricola über Lenin bis Zille.

Als die Euphorie um Marx und Engels halbwegs abgeklungen war, meldete sich der stellvertretende Bauminister Gerhard Kosel im September 1958 zu Wort. Er skizzierte ein Marx-Engels-Forum auf dem freigesprengten Schlossplatz, dessen Größe an Vorhaben eines größenwahnsinnigen Diktators wenige Jahre zuvor erinnerte. Kosel: „Bei der Bedeutung des Berliner Zentrums gilt es, der kapitalistischen Ausbeuterwelt des `Brückenkopfes Westberlin` die siegreichen Ideen des Sozialismus in einem groß angelegten Werk der Baukunst entgegenzustellen…“. Kern des Forums waren „das Marx-Engels-Denkmal mit der Ehrentribüne und das Marx-Engels-Haus. Hier werden in einer Ehrenhalle solche Kleinodien der internationalen Arbeiterbewegung aufbewahrt wie die Manuskripte vom ´Manifest der Kommunistischen Partei` und Erstdrucke des `Kapital`.“ Dort sollte übrigens auch die Volkskammer der DDR ihre Unterkunft finden, die fast dreißig Jahre ohne festes Domizil ihre wahre Bedeutung erfuhr.

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Mammutprojekt aus den fünfziger Jahren mit Denkmal, Tribüne für Massenaufmärsche, Ruhmeshalle, Museum, Marx-Engels-Turm

Zu den mehr als 50 Entwürfen aus sieben Ländern, die in einem Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Ostberliner Stadtzentrums bis 1959 eingereicht wurden, befand sich kein Projekt, das einen ersten Platz hätte belegen können. Der Entwurf eines Architektenkollektivs aus der Stadt Halle an der Saale schlug sogar vor, „den Dom zu entfernen, der nicht zu den Ruhmestaten vergangener Bautraditionen gehört, und an seine Stelle die Kundgebungshalle zu setzen.“

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Projekt aus den sechziger Jahren, in dem der Dom bereits durch eine Kundgebungshalle (links zwischen 3 und 4) als Bestandteil des Marx-Engels-Forums (Mitte) ersetzt wird

Nachdem auch diese gigantischen Projekte allesamt gescheitert waren, forderte der Magistrat nach einer Schamfrist im Juni 1967 zu einem Ideenwettbewerb für ein Marx-Engels-Denkmal auf dem Marx-Engels-Platz  auf. Entwürfe für die künstlerische Gestaltung seien bis 30. November einzusenden. Die Wahl der künstlerischen Mittel war den Teilnehmern des Wettbewerbes freigestellt, jedoch war eine „repräsentative und monumentale Gestaltung angestrebt“. Dafür wurden Preise bis zu 20.000 Mark ausgelobt. Die Jury war diesmal etwas kleiner, ihr gehörten Oberbürgermeister Friedrich Ebert, SED-Kultursekretär Kurt Hager und der Berliner SED-Chef Paul Verner an. Auch dieses Unternehmen verlief im märkischen Sande.

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Erster Entwurf aus Pappmasché und Gips, das der Bildhauer Ludwig Engelhardt in seinem Atelier Erich Honecker präsentierte

Weitere sechs Jahre später – die Macht an der SED-Spitze hatte sich um 13 Jahre verjüngt – empfahl des SED-Politbüro, im Zusammenhang mit dem Bau eines Palastes der Republik, eine „würdige und repräsentative Ehrung“ für Marx und Engels zu schaffen. Der Bildhauer Ludwig Engelhardt bekam den Auftrag, einen Vorschlag für das Denkmal auszuarbeiten. Zwei Jahre später stand das Konzept. Einbezogen waren die Bildhauerin Margret Middell und der Bildhauer Werner Stötzer sowie ein paar Gesellschaftswissenschaftler, die auf die politische Linie des Vorhabens zu achten hatten. 1976 betrachtete Erich Honecker im Atelier von Engelhardt den aus Pappmaschè und Gips gefertigten Entwurf einer Plastik mit Marx und Engels und gab dem Ganzen sein o.k.

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Skizze von 1983 über die Standorte der Skulpturen und Reliefs des Marx-Engels-Forums zwischen Liebknecht-Straße und Nikolaiviertel

In den Jahren 1982/83 beginnen die baulichen Arbeiten in einer Kreisfläche von 64 Meter Durchmesser an der Spandauer Straße. Um die Figuren wurden vier 4,90 Meter hohe Doppelstelen aus Edelstahl gruppiert, in die nach einem neuen Verfahren Dokumentarfotos aus der Geschichte der Arbeiterbewegung unzerstörbar eingebrannt wurden.

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SED-Chef Erich Honecker und Bildhauer Ludwig Engelhardt begutachten bei der Einweihung die in Edelstahl eingebrannten historischen Fotos

Zum Ensemble gehört Stötzers fünfteiliges Marmorrelief mit Szenen zu Unterdrückung, Unfreiheit und Not. Außerdem ein Bronzerelief von Middell, auf dem Schönheit und Würde des befreiten Menschen dargestellt sind. Die Einweihung des Marx-Engels-Forums zwischen Palast der Republik, Karl-Liebknecht-Straße und Nikolaiviertel erfolgte mit riesigem Propagandaaufwand durch SED-Chef Erich Honecker am 4. April 1986.

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In der Bundesrepublik viel fotografiertes Denkmal. Die Hände von Marx zeigen, dass es mit der Unnahbarkeit vorbei war

Nun müssen all diese künstlerisch wertvollen Details des Marx-Engels-Forums irgendwann irgendwo wieder aufgestellt werden. Mein Vorschlag ist, den Volkspark Friedrichshain dafür zu nutzen und ihm damit endlich die Bedeutung für alle (Ost)Berliner zukommen zu lassen, die der grünen Oase zukommt, wenn man die wechselvolle Geschichte von den Gräbern der Märzgefallenen bis zum Bunkerberg in Betracht zieht. Ich würde im Volkspark Friedrichshain – den wir mit unseren Kindern oft besuchten – dem alten verehrten Marx gern ein Blümchen zu Füßen legen.

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Liebhaber und Diktator – Das geheime Doppelleben Walter Ulbrichts

Ein neuer Dokumentarfilm von Sonja von Behrens

„Walter Ulbricht – sein geheimes Doppelleben“. Den Liebhaber und Diktator, der sich in Ostdeutschland und der DDR über lange Zeit als gelehriger Schüler Stalins erwies und jede Konkurrenz brutal ausschaltete, hat die Historikerin und Autorin Sonja von Behrens mit überraschend neuen Details porträtiert. Der Dokumentarfilm, an dem mitzuarbeiten ich die Freude hatte, offenbart eine bisher nicht bekannte Seite des langjährigen SED-Chefs. Der Film lief erstmals am 4. März 2018 in der ZDF-Reihe „History“.

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Rosa Michel im Kreis von Freunden / Aus ihren unveröffentlichten Memoiren

Das Mitglied der französischen KP Rosa Michel (1901-1990) war Mitarbeiterin des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale und von 1925 an intim mit Ulbricht befreundet.  Beide hatten ihr Verhältnis während der Emigration Ulbrichts in Paris begonnen und später im berüchtigten Moskauer Emigranten-Hotel „Lux“ fortgesetzt. Mitte der dreißiger Jahre, nachdem Rosa Michel 1931 die gemeinsame Tochter Mimi geboren hatte, beendete der KPD-Funktionär die Beziehung, hielt aber bis zu seinem Tod Kontakt zu ihr. Rosa Michel war bis 1969 Korrespondentin der „Humanité“ in Ostberlin und danach Korrespondentin des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN) in Paris. Ulbrichts Verhältnis und seine Vaterschaft blieben für die Öffentlichkeit ein Geheimnis.

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Alain Picard, Enkel von Rosa Michel und Walter Ulbricht

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Gestelltes Foto von Lotte und Walter Ulbricht mit Adoptivtochter Beate

Erstmals schildert der 1952 geborene und bisher unbekannte Enkel Ulbrichts, Alain Picard, was seine Großmutter Rosa Michel in ihren unveröffentlichten Memoiren über ihre Liebe zum deutschen Kommunistenführer schrieb, wie sie die schönste Zeit ihres Lebens mit ihm verbrachte und über die bittere Trennung fast zerbrach. Alain Picard selbst hat erst mit 18 Jahren  erfahren, wer sein Großvater ist, seine Mutter aber verhinderte, dass er ihn je traf. Für den Enkel war die Berliner Mauer, mit der Ulbricht ein ganzes Volk einsperrte, Grund genug, auf eine Nähe zu ihm zu verzichten.
Neue Geliebte Ulbrichts seit Mitte der dreißiger Jahre war die ebenfalls im Hotel „Lux“ lebende Komintern-Mitarbeiterin Lotte Kühn (1903-2002), deren Lebenspartner Erich Wendt als Stalin-Opfer in einem der Gulags überlebte, in denen mehr führende deutsche Kommunisten umgebracht wurden als in den Konzentrationslagern der Nazis.

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Einer der letzten Besuche Ulbricht in der sowjetischen Botschaft mit Botschafter Abrassimow. Im Hintergrund rechts der Autor dieses Beitrages

Tatsächlich war der Tischler Ulbricht seit 1920 mit seiner Jugendliebe, der Leipziger Näherin Martha Schmellinsky (1892-1976) bis 1950 verheiratet. Aus der Beziehung ging 1920 die Tochter Dora hervor, die später ohne Verbindung zu Ulbricht mit ihrer Familie in der Bundesrepublik lebte. Von den zwei Seiten Ulbrichts berichtet in der Dokumentation auch Ulbrichts Adoptivtochter Beate Matteoli, die vor ihrer rätselhaften Ermordung im Dezember 1991 einer Journalistin ein bewegendes Tonband-Interview gab, aus dem der Film Ausschnitte übernommen hat. Darin akzeptiert Beate Ulbricht als ihren Vater, schildert die Mutter aber als lieblos,  kalt und herrschsüchtig.
Die Dokumentation über Ulbricht, den ich mehrere Jahre als Reporter begleitete, zeigt dessen Karriere und das Privatleben aus neuer Sicht. Der DDR-Diktator war auch Geliebter, Ehemann und Vater. Und er war durchaus lernfähig, was die Entwicklung in der DDR betraf. Die Abwendung vom alten System der starren zentralistischen Planung nach sowjetischem Vorbild und die Hinwendung zu Methoden der Marktwirtschaft führten zu einem Bruch mit der Politik des Kreml-Chefs Leonid Breschnew und schließlich 1971 zum Sturz durch die sowjethörigen Apparatschicks um Erich Honecker.

Der Umgang seiner Genossen und Zöglinge mit Ulbricht, der bis zu seinem Tod Staatsratsvorsitzender blieb, war nach meinen eigenen Erlebnissen ungebührlich, kränkend und bar jeder Verehrung. In seiner lieblosen 133 Zeilen langen Trauerrede, die Honecker sich nicht nehmen ließ, kein einziges Wort zu der bereits weitgediehenen Reformpolitik der Wirtschaft in den Sechzigerjahren, mit der eine Wende hätte vollzogen werden können, in deren Folge auch politische Veränderungen möglich gewesen wären.

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