Archiv der Kategorie: Zeitgeschichte

Mode der Zwanzigerjahre

Aus dem Familienalbum:  Mode der Zwanzigerjahre  (ohne Worte)

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Der Marshallplan und die DDR

Am 16. April 1948 wurde in Paris der Marshallplan unterzeichnet. Er umfasste ein Hilfsprogramm für Westeuropa im Umfang von 12,4 Mrd. Dollar (heute 131 Mrd. Dollar). Damit leistete die USA 16 westeuropäischen Ländern mit Krediten, Rohstoffen, Lebensmitteln und anderen Waren Aufbauhilfe. Von den auf vier Jahre angelegten 14 Milliarden Dollar erhielt Westdeutschland 1,4 Mrd. (heute ein Wert von 9 Mrd. Dollar). Das „European Recovery Program“ (ERP) war erstmals vom damaligen US-Außenminister George C. Marshall in einer Rede an der Harvard-Universität 1947 verkündet worden und trägt daher seinen Namen. Ohne diese Hilfe wäre der wirtschaftliche Aufschwung in der 1949 gegründeten Bundesrepublik nicht so erfolgreich verlaufen.

Die Sowjetunion lehnte auf der Londoner Außenministerkonferenz Ende 1947 eine Beteiligung am Marshallplan ab, bezeichnete ihn als Versuch der Einmischung in die Souveränität der europäischen Staaten. Das Interesse Bulgariens, der Tschechoslowakei, Polens und Ungarns am Marshallplan hatte unter den Sowjets keine Chance. Die Gründung des  Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) im Januar 1949 war da nur ein schwacher Trost.

 Im Osten erfolgte die Hilfe in umgekehrter Richtung. Durch die UdSSR wurden in Ostdeutschland 2.000 bis 2.400 der wichtigsten und bestausgerüsteten Betriebe demontiert. Zudem 11.800 Kilometer Eisenbahnschienen in die Sowjetunion verbracht und damit das Schienennetz um die Hälfte reduziert.

Ab Juni 1946 erfolgte die Entnahme aus der laufenden Produktion. Rund 200 SAG-Betriebe in der DDR  (SAG: Sowjetische Aktiengesellschaft. Das waren Betriebe im Osten, die in das Eigentum der UdSSR übergegangen waren) produzierten von 1946 bis 1953 im Maschinenbau, in der Chemie, der Metallurgie und in anderen Betrieben  mit rund 300.000 Beschäftigten jährlich durchschnittlich fast ein Viertel des DDR-Bruttosozialprodukts. Zu diesen Unternehmen gehörten bis zu ihrer Rückgabe Ende 1953 so bekannte Betriebe wie Eisen- und Hüttenwerk Thale, Schwermaschinenbau Magdeburg, Transportanlagen Leipzig, Pressen- und Scherenbau Erfurt, Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow, Filmfabrik Wolfen und Chemische Werke Schkopau.  Auf der Grundlage von Archivmaterialien kamen Experten der Berliner Humboldt-Universität auf eine Gesamtsumme von mindestens 54 Milliarden Reichsmark bzw. Ost-Mark an Reparationsleistungen allein der SAG-Betriebe für die UdSSR.

Hinzu kamen die von der DDR getragenen anteiligen Besatzungskosten für die Sowjetarmee, die einen Anteile an den Einnahmen des Staatshaushaltes der DDR von zwölf Prozent 1949 ausmachte, das waren rund 2,2 Milliarden DM. Dieser Anteil ging bis 1958 auf unter fünf Prozent zurück. Ab 1959 wurde der DDR die jährliche Zahlung  in Höhe von 600 Millionen DM, was einem Anteil von 25 Prozent der Besatzungskosten entsprach, erlassen.

Mit all diesen Maßnahmen für die Entschädigung der UdSSR hatte die Ostzone/DDR die höchsten im 20. Jahrhundert bekannten Reparationsleistungen erbracht. Sie betrugen 99,1 Mrd. DM – die der  damaligen Bundesrepublik Deutschland hingegen nur 2,1 Mrd. DM. Laut  Experten betrug die Reparationslast der DDR 97–98 Prozent Gesamtdeutschlands. Das ist pro Person in der DDR das 130-fache gegenüber einer Person der Bundesrepublik. 

Über einen weiterern Umstand, der der Bundesrepublik zugute kam, ihr aber nicht vorgeworfen werden kann, schrieb Walter Ulbricht am 30. Dezember 1961 in der Moskauer „Prawda“. Er bezifferte den wirtschaftlichen Schaden für die DDR durch Abwerbung durch die BRD und Massenflucht von Bürgerinnen und Bürgern der DDR bis zum Mauerbau mit rund 30 Milliarden DM. Von 1952 bis 1961 wechselten mehr als 20.000 Ingenieure und Techniker, 4.500 Ärzte und über 1.000 Hochschullehrer aus der DDR in die Bundesrepublik.

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Wohin mit Marx und Engels?

Schon die SED nahm sich viel Zeit  mit ihren Gallionsfiguren – Willkommen im Volkspark Friedrichshain… oder?

Die Berliner Landesregierung steht auf dem Schlauch. So weiß nicht so recht, wohin mit Marx und Engels. Jedenfalls was das Denkmal betrifft. Die in doppelter Lebensgröße gegossenen Bronzefiguren mussten wegen der neuen U5 (vom Rathaus zum Brandenburger Tor) ihren Platz räumen und verharren nun an der Seite auf ihr neues Domizil, um nicht ganz und gar in Vergessenheit zu geraten. Dabei gibt es keinen Grund sich schwerzutun mit einer Entscheidung, zumal die SED-Führung mehr als fünfunddreißig Jahre brauchte, um sich über ein Denkmal für die Begründern ihrer Weltanschauung klar zu werden.

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Marx-Engels-Denkmal  – in der DDR ein  unnahbares Monument, an dem man allenfalls ein paar Blumen hinterlassen konnte

Zunächst war alles ganz anders geplant. Es fing an am 17. Januar 1951. Die 4. Tagung des SED-Zentralkomitees riet dem Magistrat von Groß-Berlin (also Ostberlin), am Lustgarten ein Marx-Engels-Denkmal zu errichten. Da die Klassiker des Sozialismus, besonders Karl Marx, der Lust nie abhold gewesen waren und beide ganz in der Nähe studiert haben, kann man sich gut und gerne mit einem solchen Vorschlag anfreunden. Das Monument sollte an der westlichen Seite des Lustgartens, zwischen Schlossbrücke und Werderstraße, stehen.

Natürlich bedurfte es dazu eines Denkmal-Komitees, dem keine Geringeren als Präsident Wilhelm Pieck als Vorsitzender sowie Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Friedrich Ebert und noch ein paar andere aus der Kaderelite angehörten. Von diesem Komitee hat man später nie wieder etwas gehört. Es mag untergegangen sein unter der Unmenge von Denkmalen, die in Stadt und Land zwischen Rostock und Thüringer Wald aus dem Boden schossen und immer auch irgendwen ehrten – von Agricola über Lenin bis Zille.

Als die Euphorie um Marx und Engels halbwegs abgeklungen war, meldete sich der stellvertretende Bauminister Gerhard Kosel im September 1958 zu Wort. Er skizzierte ein Marx-Engels-Forum auf dem freigesprengten Schlossplatz, dessen Größe an Vorhaben eines größenwahnsinnigen Diktators wenige Jahre zuvor erinnerte. Kosel: „Bei der Bedeutung des Berliner Zentrums gilt es, der kapitalistischen Ausbeuterwelt des `Brückenkopfes Westberlin` die siegreichen Ideen des Sozialismus in einem groß angelegten Werk der Baukunst entgegenzustellen…“. Kern des Forums waren „das Marx-Engels-Denkmal mit der Ehrentribüne und das Marx-Engels-Haus. Hier werden in einer Ehrenhalle solche Kleinodien der internationalen Arbeiterbewegung aufbewahrt wie die Manuskripte vom ´Manifest der Kommunistischen Partei` und Erstdrucke des `Kapital`.“ Dort sollte übrigens auch die Volkskammer der DDR ihre Unterkunft finden, die fast dreißig Jahre ohne festes Domizil ihre wahre Bedeutung erfuhr.

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Mammutprojekt aus den fünfziger Jahren mit Denkmal, Tribüne für Massenaufmärsche, Ruhmeshalle, Museum, Marx-Engels-Turm

Zu den mehr als 50 Entwürfen aus sieben Ländern, die in einem Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Ostberliner Stadtzentrums bis 1959 eingereicht wurden, befand sich kein Projekt, das einen ersten Platz hätte belegen können. Der Entwurf eines Architektenkollektivs aus der Stadt Halle an der Saale schlug sogar vor, „den Dom zu entfernen, der nicht zu den Ruhmestaten vergangener Bautraditionen gehört, und an seine Stelle die Kundgebungshalle zu setzen.“

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Projekt aus den sechziger Jahren, in dem der Dom bereits durch eine Kundgebungshalle (links zwischen 3 und 4) als Bestandteil des Marx-Engels-Forums (Mitte) ersetzt wird

Nachdem auch diese gigantischen Projekte allesamt gescheitert waren, forderte der Magistrat nach einer Schamfrist im Juni 1967 zu einem Ideenwettbewerb für ein Marx-Engels-Denkmal auf dem Marx-Engels-Platz  auf. Entwürfe für die künstlerische Gestaltung seien bis 30. November einzusenden. Die Wahl der künstlerischen Mittel war den Teilnehmern des Wettbewerbes freigestellt, jedoch war eine „repräsentative und monumentale Gestaltung angestrebt“. Dafür wurden Preise bis zu 20.000 Mark ausgelobt. Die Jury war diesmal etwas kleiner, ihr gehörten Oberbürgermeister Friedrich Ebert, SED-Kultursekretär Kurt Hager und der Berliner SED-Chef Paul Verner an. Auch dieses Unternehmen verlief im märkischen Sande.

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Erster Entwurf aus Pappmasché und Gips, das der Bildhauer Ludwig Engelhardt in seinem Atelier Erich Honecker präsentierte

Weitere sechs Jahre später – die Macht an der SED-Spitze hatte sich um 13 Jahre verjüngt – empfahl des SED-Politbüro, im Zusammenhang mit dem Bau eines Palastes der Republik, eine „würdige und repräsentative Ehrung“ für Marx und Engels zu schaffen. Der Bildhauer Ludwig Engelhardt bekam den Auftrag, einen Vorschlag für das Denkmal auszuarbeiten. Zwei Jahre später stand das Konzept. Einbezogen waren die Bildhauerin Margret Middell und der Bildhauer Werner Stötzer sowie ein paar Gesellschaftswissenschaftler, die auf die politische Linie des Vorhabens zu achten hatten. 1976 betrachtete Erich Honecker im Atelier von Engelhardt den aus Pappmaschè und Gips gefertigten Entwurf einer Plastik mit Marx und Engels und gab dem Ganzen sein o.k.

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Skizze von 1983 über die Standorte der Skulpturen und Reliefs des Marx-Engels-Forums zwischen Liebknecht-Straße und Nikolaiviertel

In den Jahren 1982/83 beginnen die baulichen Arbeiten in einer Kreisfläche von 64 Meter Durchmesser an der Spandauer Straße. Um die Figuren wurden vier 4,90 Meter hohe Doppelstelen aus Edelstahl gruppiert, in die nach einem neuen Verfahren Dokumentarfotos aus der Geschichte der Arbeiterbewegung unzerstörbar eingebrannt wurden.

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SED-Chef Erich Honecker und Bildhauer Ludwig Engelhardt begutachten bei der Einweihung die in Edelstahl eingebrannten historischen Fotos

Zum Ensemble gehört Stötzers fünfteiliges Marmorrelief mit Szenen zu Unterdrückung, Unfreiheit und Not. Außerdem ein Bronzerelief von Middell, auf dem Schönheit und Würde des befreiten Menschen dargestellt sind. Die Einweihung des Marx-Engels-Forums zwischen Palast der Republik, Karl-Liebknecht-Straße und Nikolaiviertel erfolgte mit riesigem Propagandaaufwand durch SED-Chef Erich Honecker am 4. April 1986.

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In der Bundesrepublik viel fotografiertes Denkmal. Die Hände von Marx zeigen, dass es mit der Unnahbarkeit vorbei war

Nun müssen all diese künstlerisch wertvollen Details des Marx-Engels-Forums irgendwann irgendwo wieder aufgestellt werden. Mein Vorschlag ist, den Volkspark Friedrichshain dafür zu nutzen und ihm damit endlich die Bedeutung für alle (Ost)Berliner zukommen zu lassen, die der grünen Oase zukommt, wenn man die wechselvolle Geschichte von den Gräbern der Märzgefallenen bis zum Bunkerberg in Betracht zieht. Ich würde im Volkspark Friedrichshain – den wir mit unseren Kindern oft besuchten – dem alten verehrten Marx gern ein Blümchen zu Füßen legen.

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Görlitz – ein Bilderbuch der Baugeschichte

Ein Spaziergang durch Jackie Chans tausendjähriges „Görliwood“

Die Geschichte der Stadt Görlitz ist neben allen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen gleichsam eine Spur der Steine durch die Jahrhunderte. Von der mittelalterlichen Handelsmetropole an der Via Regia bis hin zum bevorzugten Wohnort für Beamte, Pensionäre und begüterte Geschäftsleute reicht ihr Ruf. Schon im 19. Jahrhundert bekam Görlitz den Beinamen „Pensionopolis“, weil es vor allem bei preußischen Beamten als Alterssitz beliebt war. Auch heute ziehen zahlreiche Pensionäre, ünerwiegend aus den alten Bundesländern, in die Altstadt von Görlitz. Von Kriegen weitgehend verschont, ist die Stadt harmonisch gewachsen und stellt heute mit rund 4000 schützenswerten Bau- und Kunstwerken das größte zusammenhängende Flächendenkmal in Deutschland dar.  

Görlitz wurde 1071 erstmals von König Heinrichs IV. in einer Urkunde erwähnt, welche die Übergabe des slawischen Dorfes „Goreliz“ als Geschenk an den Bischof von Meißen bestätigt. Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelte sich an der Via Regia, der privilegierten Handelsroute von Spanien bis Moskau, eine Ansiedlung von Kaufleuten rund um die Nikolaikirche. Um 1200 entstand im Bereich der heutigen Altstadt eine Stadtanlage.  

Die heutige Ober- und Niederlausitz stand ab 1075 unter der Herrschaft der böhmischen Herzöge und späteren Könige, die mit Unterbrechungen bis 1635 damit auch Stadtherren von Görlitz waren. 1636 wurde Görlitz zusammen mit der Oberlausitz, deren Stände sich im Dreißigjährigen Krieg den aufständischen Böhmen angeschlossen hatten, zum Ausgleich für Kriegsschulden des Kaisers an das Kurfürstentum Sachsen vergeben.  

Zu den bis heute gepflegten humanistischen Leistungen zählt die im Jahr 1779 in Görlitz gegründete „Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften“ als eine der ältesten regionalen deutschen Gelehrtengesellschaften, die zur größten bürgerlichen Gesellschaft ihrer Art in Deutschland heranwuchs.

Eine neue politische Zuordnung gab es nach den Befreiungskriegen. Da das Königreich Sachsen auf Seiten des Franzosen-Kaisers am Krieg teilnahm und erst nach der Niederlage Napoleons zu den Alliierten überlief, wurde es 1815 vom Wiener Kongress ausgeschlossen und musste große Gebietsverluste hinnehmen. So gelangten Görlitz und große Teile der Oberlausitz an Preußen. Diese Zugehörigkeit hatte erheblichen Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Stadt. 1833 wurde das preußische Stadtrecht eingeführt. Unter dem ersten Oberbürgermeister Gottlob Ludwig Demiani, nach dem ein Platz benannt ist, gelangte die Stadt zu neuer Blüte.

Neben den historischen Fakten sind die Bauwerke dieser östlichsten Stadt Deutschlands ein Bilderbuch der Kunstgeschichte, in dem lückenlos die Bauepochen seit dem späten Mittelalter nebeneinander und bisweilen durcheinander aufgereiht sind. Selbst nach Jahrzehnten der Vernachlässigung der alten Bausubstanz sowie eines drohenden und schließlich verhinderten Abrisses zu DDR-Zeiten sind die vielen Profan- und Sakralbauten in einer außerordentlichen architektonischen Qualität erhalten bzw. wiederhergestellt worden. Damit ist Görlitz geradezu ein dreidimensionales Lehrbuch der Architekturgeschichte, ein städtebauliches Kunstwerk von höchster Vollkommenheit, wie es in Deutschland kein zweites Mal zu finden ist.

Das harmonische Miteinander von Gotik, Renaissance und Barock, von Historismus, Gründerzeit und Jugendstil ist auf Schritt und Tritt erlebbar. Wo Requisiteure für historische Filme aufwändig Kulissen bauen lassen, um der Wirklichkeit vergangener Zeiten nahezukommen, nutzen Filmgesellschaften von Hollywood bis Babelsberg das originale Flair von „Görliwood“, um sich den Kulissenbau zu ersparen.

Ein Spaziergang durch die Stadt ist wie der Besuch einer Ausstellung zur Bau- und Kunstgeschichte. Dafür war die Stadt nicht untätig. Seit Beginn der neunziger Jahre wurden zur Sanierung der Altstadt rund eine Milliarde Euro von öffentlichen und privaten Investoren aufgebracht, wie der Bürgermeister der Neiße-Stadt Michael Wieler Anfang 2018 mitteilte. Dennoch gebe es noch eine Menge zu tun.

Gö1Hotherturm

Der Hotherturm gehörte zu den 30 Basteien der Stadtmauer von Görlitz und ist die letzte noch erhaltene Eckbastion vor Ort. Entstanden ist der zweigeschossige Turm mit seinem dreiviertelrunden Grundriss in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.

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Die alte Stadtbefestigung wurde einst gebaut, als sei sie aus dem felsigen Untergrund, dem so genannten Lausitzer Granitmassiv, herausgewachsen.

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Blick über die Neiße in das polnische Zgorzelec

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Weithin sichtbar die Pfarrkirche St. Peter und Paul als Wahrzeichen der Stadt. Sie gehört zu den ältesten Kirchenbauten, die  viele andere Kirchen in Sachsen baulich beeinflusst hat.

Gö6RestaurantMühle

Wenn Görlitz die östlichste Stadt Deutschlands ist, dann ist die Vierradenmühle an der Neiße die östlichste Gastwirtschaft. Sie war seit dem 14. Jahrhundert  eine von drei großen Getreidemühlen der Stadt und diente Tuchmachern und Gerbern als Walkmühle. Im Restaurant kann man durch einen gläsernen Fußboden eine Turbine bei der Stromerzeugung beobachten. Bei schönem Wetter wird natürlich auf der Terrasse, hoch über der Neiße serviert.

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Auch in den alten kleinen Gassen stehen Häuser aus unterschiedlichen Bauepochen nebeneinander und vermitteln ein Bild des Wandels der Baukunst über die Jahrhunderte.

Gö8Neptunbrunnen

Der Neptunbrunnen auf dem Untermarkt geht auf das Jahr 1756 zurück und wurde vom Steinmetz Johann Georg Mattausch nach einer Zeichnung von Johann Friedrich Wilhelm von Charpentier gefertigt.

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Rechts, neben dem Rathausturm, der Turm der Dreifaltigkeitskirche am Obermarkt. Im Jahr 1234 als Kirche des Franziskanerordens gegründet, stammt der heutige Kirchenbau aus dem 14. Und 15. Jahrhundert. In der Kirche befinden sich einzigartige Kunstwerke. Währe3nd des Arbeiteraufstandes am 17. Juni 1953 in der DDR fand auf dem Obermarkt eine Kundgebung mit 30.000 Menschen statt. Der Aufstand wurde, wie überall im Land, durch die sowjetische Besatzungsmacht und von Staatssicherheit und Volkspolizei niedergeschlagen.

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Blick in das Hauptschiff der gotischen Dreifaltigkeitskirche mit einer Orgel von 1873 aus der berühmten Werkstatt von Friedrich Ladegast, dessen Instrumente im Wiener Musikverein, in der Schlosskirche zu Wittenberg, im Schweriner Dom und anderswo im In- und Ausland stehen. 

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Die Statue des sinnierenden Christus aus dem Jahr 1500 gehört zu den besonderen Kostbarkeiten der Dreifaltigkeitskirche.

Gö12EvangFrauenkirche

Die evangelische Frauenkirche ist eine dreischiffige Hallenkirche im spätgotischen Stil. Die Kirche lag einst vor den Toren der Stadt, heute inmitten des Zentrums. Die Grundsteinlegung fand 1459 statt. Im Herbst 1989 war sie vor der politischen Wende in der DDR Ausgangspunkt der Friedensgebete in der Stadt.

Gö13BlicküberObermarktmitReichenbacherTurm

Blick über den Obermarkt mit dem 51 Meter hohen Reichenbacher Turm. 1376 wurde der Turm zum Schutz des westlichen Stadttores erstmals urkundlich erwähnt. 1782 wurde die gotische Turmspitze, zu der 165 Stufen führen,  durch eine kupferne Barockhaube ersetzt. Der Turm wird durch die Städtischen Kunstsammlungen betrieben, die auf sieben Etagen Ausstellungen veranstaltet. Bei guter Sicht reicht der Blick von oben bis in das Riesengebirge. 

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Das so genannte Napoleon-Haus. Vom Balkon in der ersten Etage hat Napoleon Bonaparte während seines europäischen Feldzuges 1813 Truppenparaden abgenommen.

Ansichten, in denen die Geschichte der Stadt über die Jahrhunderte erkennbar ist

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Das Görlitzer Rathaus erinnert mit den goldenen Städtenamen Bautzen, Lauban, Löbau, Kamenz und Zittau an den 1346 zusammen mit Görlitz gegründeten Oberlausitzer Sechsstädtebund. Die Gemeinsamkeit der Städte sollte den Landfrieden vor allem gegen das adlige Raubrittertum sichern. Dies war auch im Sinne von Kaiser Karl IV., der die Städte mit zahlreichen Privilegien unterstützte. Die Städte konnten sich in der Folgezeit erfolgreich gegen den Adel durchsetzen, wobei durch ihre wirtschaftliche Prosperität auch ihr politischer Einfluss wuchs.

Der Flüsterbogen befindet sich auf dem Untermarkt und geht auf Anfang des 16. Jahrhunderts zurück. Das beliebte spätgotische Portal besteht aus Krabben, mittigen Kreuzblumen und jeweils einer seitlichen Maske. Durch die Konstruktion des gewölbten Bogens werden Schallwellen gut weitergeleitet. Wer an einem Ende seinem Gegenüber etwas ins Ohr flüstert, wird am anderen Ende verstanden, ohne dass der möglicherweise in der Mitte Stehende davon etwas hört. Für viele Touristen eine Möglichkeit, den Effekt praktisch auszuprobieren.Gö19aJustitia

Das alte Rathaus in Görlitzer Untermarkt mit der weltbekannten Rathaustreppe, einem Kleinod der Renaissance, wurde 1369 erstmals erwähnt. Die freistehende Justitia auf einer gekrönten Säule aus dem 16. Jahrhundert galt als Wahrzeichen der hohen Gerichtsbarkeit des Rates. Weil die Gerichts-Dame keine Augenbinde trägt, behaupten die Görlitzer nicht ohne Stolz, ihre Justitia sei nicht blind.

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Der alte Rathausturm wurde 1742 durch Blitzeinschlag zerstört. Beim Wiederaufbau wurden zwei Uhren auf der Marktseite angebracht. Die untere Uhr ist in der Mitte des Zifferblattes mit dem Kopf eines Kriegers besetzt. Die darüber befindliche Mondphasenuhr ist Teil des Lunarkalenders.

Die ehemalige Ratsapotheke am Untermarkt zählt zu den bekanntesten Bürgerhäusern in der historischen Altstadt. Der Renaissancebau trägt auf der dem Markt zugewandten Seite zwei Sonnenuhren. Bis 1832 war die Rathausapotheke die einzige Apotheke der Stadt. Im Jahr 1999 begannen die umfangreichen Sanierungsarbeiten im und am Gebäude. Dabei wurde auch das alte schmuckvolle Eingangsportal freigelegt, das über Jahrzehnte zugemauert war. 

In der Landskron-Brauerei am Ufer der Neiße wird seit 1869 Bier gebraut. Damit gehört sie zu den ältesten produzierenden Industriedenkmälern in Deutschland. Das Bier reift 40 Tage lang, länger als üblich, in 18 Metern tiefen Gärungsräumen von 1869, die unter Denkmalschutz stehen. Der typische Gründerzeitbau eignet sich auch gut als Filmkulisse. So drehte Jackie Chan hier Szenen seines Filmes „In 80 Tagen um die Welt“, wobei die Gassen des alten Ziegelbaus als New Yorker Hafenviertel dienten. Der Name Jackie-Chan-Gasse erinnert an die Dreharbeiten.

Das berühmte Jugendstil-Warenhaus Görlitz ist eines der besterhaltenen Warenhäuser aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts. 1912 begann der Neubau in Stahlskelettbauweise. Nach neun Monaten Bauzeit wurde das Kaufhaus im September 1913 eröffnet und bis 2009 als Warenhaus betrieben. Nach Aussagen des neuen Besitzers soll das Kaufhaus ab 2018 in alter Schönheit wieder eröffnet werden. Der Regisseur Wes Anderson drehte im Warenhaus 2014 Szenen für seinen Film „Grand Budapest Hotel“.

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Das Team für den Film „Grand Budapest Hotel“, darunter die Schauspielerin Tilda Swinton und die Schauspieler Willem Dafoe und Ralph Fiennes, quartierte sich während der mehrmonatigen Dreharbeiten im benachbarten Hotel Börse ein.

Gö28Straßburg-Passage

Im Dezember 1908 erfolgte nach sechsmonatiger Bauzeit die feierliche Eröffnung der ebenfalls im Jugendstil errichteten 115 Meter langen Straßburg-Passage zwischen Berliner- und Jakobstraße. Dieses bis heute beliebte Einkaufszentrum der Görlitzer hatte selbst in der DDR als „HO-Passage“ ihren Ruf bewahrt. Nach 1990 übernahm der Enkel des Firmengründers Wolfgang Straßburg die Passage und schuf in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege ein historisches Einkaufszentrum, das den Erfordernissen moderner Verkaufskultur entspricht und sich bei den Kunden und Besuchern großer Beliebtheit erfreut.

Gö29CafeBerlinerStr

Seit April 2012 lädt am sogenannten „Tortenstück“ das traditionsreiche Cafe Central mit seinen zwei gemütlichen Etagen wieder zum Besuch ein.

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Blick auf ein spätklassizistisches Geschäftshaus, vor dem sich die „Muschelminna“ – hier noch in Winterverkleidung – erhaben streckt. Der Entwurfe stammt von Robert Toberentz, einem Breslauer Bildhauer. In der Kunstgießerei Lauchhammer wurde die Bronzefigur gegossen und 1887 auf dem Postplatz eingeweiht. Die „Muschelminna“ wurde 1942 für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen. Erst 1987 erhielt der Dresdener Bildhauer Friedemann Klos den Auftrag, nach historischen Fotos ein neues Modell zu schaffen. Den Bronzeguss übernahm wieder die Kunstgießerei Lauchhammer, und seit dem 1. Mai 1994 steht die Nachbildung der ursprünglichen Brunnenfigur auf dem Sockel und krönt das architektonische Ensemble.

Gö31HistorPostamt

Zwischen den Jahren 1851 und 1855 wurde auf der Ostseite des Postplatzes, der damals noch ein unbefestigter Rummelplatz war, das erste Postgebäude errichtet. Doch 1887 bekam das Postamt einen repräsentativeren Neubau. Der prunkvolle und mit figürlichem Schmuck verzierte Klinkerbau sollte das wilhelminische Kaiserreich repräsentieren.

Gö31iPostplatz

Im Jahr 1865 zog das Königliche Kreisgericht in den Neubau auf dem Postplatz. Die sachliche Klinkerfassade gegenüber dem Postamt deutet auf die von Schinkel geprägte preußischen Baukultur. Hinter dem Gericht befand sich einst das Gefängnis, auf dessen Hof bis etwa 1900 Hinrichtungen mit dem Handbeil stattfanden.

Gö32JugendstilBahnhof

Bis zum Zweiten Weltkrieg war der am 1.September 1847 eröffnete Jugendstil-Bahnhof Görlitz ein bedeutender Knotenpunkt im deutschen Fernverkehr. Heute ist der Bahnhof Görlitz nur noch ein Regionalknoten im Personennahverkehr . Auch den Fernverkehr in der einst bedeutsamen Relation (Paris–)Dresden–Breslau(–Warschau) gibt es seit 2004 nicht mehr.

Gö33Gymnasium

Aus einer Bildungsstätte des Franziskanerklosters für Konventsmitglieder wurde infolge der Reformation im Jahr 1530 eine evangelische Lateinschule, die sich Philipp Melanchton verpflichtet fühlte. Der heutige Bau geht auf Karl Friedrich Schinkel zurück, der 1837 mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV.  die alten Klostermauern besichtigte. Dabei fiel die Entscheidung für einen kompletten Neubau der Schule am Standort des Klosters. 1854 wurde der Grundstein für das im Stil des Historismus errichtete Gymnasium gelegt. In der DDR war die Schule nach dem antifaschistischen Künstler Johannes Wüsten  benannt. Seit 1993 heißt sie wieder Augustum und hat den Status eines Gymnasiums mit musischem Profil.

Gö34MarienplatzmitdickemturmFrauenturm

Der 46 Meter hohe Dicke Turm oder Frauenturm auf dem Marienplatz ist ein Teil der historischen Görlitzer Stadtbefestigung. Er wurde im Rahmen der Stadterweiterung 1250 errichtet. Seine Mauerstärke beträgt im unteren Teil bis zu 5,34 Meter. Da die Stadt während der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert treu zur Krone stand, wurde ihr vom römisch-deutschen Kaiser Sigismund ein Stadtwappen verliehen. Das Sandsteinrelief am Turm stellt dieses Wappen zusammen mit den zwei Figuren Maria und Barbara dar. Von den ehemals vier großen Wach- und Wehrtürmen sind außerdem noch der Nikolaiturm und der Reichenbacher Turm erhalten.  

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Der Schönhof ist das älteste Renaissance-Bauwerk in Görlitz. Das Haus in der Brüderstraße wurde nach einem Stadtbrand im Jahr 1526 von Ratsbaumeister Wendel Roskopf dem Älteren gebaut. Im 15. und 16. Jahrhundert diente es als Repräsentationsgebäude für fürstliche Gäste. Bis heute sind im Obergeschoss noch bauliche Reste einer mittelalterlichen Toilettenanlage mit Wasserspülung zu sehen. 2006 wurde das Haus nach umfassender Restaurierung Sitz des Schlesischen Museums zu Görlitz.

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Alte Handwerkskunst vor dem Hintergrund des schönsten Renaissansbaus der Stadt. Wie eine Szene aus dem späten Mittelalter.

Gö41Nikolaiturm

Der Nikolaiturm, Bestandteil der einstigen Stadtbefestigung, prägte bereits vor der ersten Stadterweiterung im Jahr 1250 das Bild der Stadt. Nach dem Stadtbrand 1717 wurde die ehemals schlanke, steile Spitze durch eine barocke Haube ersetzt. Der Zugang zum Turm erfolgte über die Stadtmauer bzw. über eine außen liegende Treppe. Erst 1752 entstand der ebenerdige Eingang durch die 2,86 Meter dicke Mauer. Von 1969 bis 2015 wurde der Bau von Görlitzer Heimatforschern als Ausstellungs- und Aussichtsturm bewirtschaftet, so wurde eine umfangreiche Sammlung historischer Schlösser, Beschläge und Leuchten aufgebaut. Seit Herbst 2016 betreiben der Förderverein Kulturstadt Görlitz-Zgorzelec e.V.  und das Kulturhistorische Museum Görlitz  gemeinsam den Turm.

Gö42HausKirschgrün

Ein Hingucker ist auf jeden Fall die Werbeagentur „Kirschgrün“. Und welche Farbe hat das wunderbar erhaltene Gebäude? Nicht wundern: In der von zwei Damen geleiteten Agentur liebt man Kopfarbeit, die Hand und Fuß hat.

Gö44Bauepochen

Ein Blick über die Stadt, wobei viele unterschiedliche Bauepochen erkennbar sind.

Gö43JesusBäckerei

1992 kaufte Bäckermeister Tschirch zwei Häuser am Nikolaigraben um eine Filiale zu eröffnen. Den Namen „Jesusbäckerei“ hat sich der Bäckermeister nicht ausgedacht, zumal er die Geschichte des Hauses damals nicht kannte. 1489 wurde am Nikolaifriedhof ein Kapellchen gebaut, das 1625 neben den Eingang der Bäckerei versetzt wurde. Da entstand der Name „Kapellenbackhaus“. Es brannte mehrmals ab und wurde immer wieder neu aufgebaut. „Jesusbäcker“ nennen nun die Görlitzer den Bäcker, neben dessen Haustür ein nachgestalteter Bildstock eine Station des Passionsweges Christi darstellt. Alljählich am Tag der Kreuzigung Christi hält die Gemeinde auf dem Weg zum Heiligen Grab in Andacht vor dem Bildstock inne. Dabei reicht der Bäckermeister den Gläubigen ein Salzbrot, auch  „Tränenbrot“ genannt, als Wegzehrung.

Gö46Jägerkas

Die Jägerkaserne am südlichen Rand der Görlitzer Nikolaivorstadt  wird heute von städtischen Ämtern genutzt. An diesem Standort befanden sich bis in die 1840er Jahre Teile der  Stadtbefestigung – darunter der sogenannte Bauzwinger und der Stadtgraben. Nachdem die städtischen Wehranlagen abgetragen worden waren, um das Wachstum der Stadt nicht zu unterdrücken, forderte der preußische Staat die Stadt auf, den Verlust an Wehranlagen durch eine massive Kaserne zu kompensieren. Zwischen 1854 und 1858 errichtete die Stadt schließlich die heutige Jägerkaserne für das 1. Schlesische Jäger-Bataillon Nr. 5. 1990 begann die Stadt mit der denkmalpflegerischen Sanierung und Umgestaltung zu einem modernen Bürokomplex, der heute als zweites Rathaus die technischen Dienste der Stadt beherbergt.

Gö48Kaisertrutz

Im Jahr 1490 wurde das „große Reichenbacher Rondell“, das später den Namen Kaisertrutz erhielt, als eine Bastion der doppelzüngigen Stadtmauer  zur Sicherung der von Westen durch die Stadt verlaufenden Handelsstraße Via Regia gebaut. Im Dreißigjährigen Krieg  kam der Kaisertrutz zu seinem Namen. Die Stadt wurde von den Schweden besetzt und trotzte während einer mehrwöchigen Belagerung den kaiserlichen und sächsischen Truppen. 1932 wurden die Abteilungen Stadtgeschichte und Ur- und Frühgeschichte der Oberlausitz  des damaligen Kaiser-Friedrich-Museums im Kaisertrutz eröffnet. 1948 erfolgte die Wiedereröffnung des Kaisertrutzes. Die archäologische Ausstellung wurde zugunsten der neuen Gemäldegalerie verlegt. Von 1998 bis 1999 wurde unter den Fundamenten ein mittelalterlicher Holzbrunnen aus dem 13. Jahrhunderts entdeckt.

Gö49Filmkulisse

Aus propagandistischer Hoch-Zeit  der DDR stammte der Film zum 100. Geburtstag Ernst Thälmanns, der 1985 gedreht wurde. Für eine Szene des Wahlkampfes Anfang der Dreißigerjahre wurde eine Mauer in der Görlitzer Bergstraße entsprechend hergerichtet. Die Görlitzer haben sich an den Schriftzug gewöhnt, während die jüngeren unter ihnen kaum noch etwas mit dem Namen anzufangen wissen.

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Und die „Gloriosa“ blieb stumm

Über die Besetzung des Erfurter Doms

Es war der erste Sonntag im Juni 1988. Nach dem Gottesdienst im katholischen Marien-Dom zu Erfurt gingen am späten Vormittag die meisten Besucher nach Hause. Doch 21 Besucher blieben, darunter sieben Kinder, eng zusammengerückt auf den Kirchenbänken sitzen. Auch nach dem Hinweis des Pfarrers, dass der Gottesdienst beendet sei, verharrten sie – und erklärten den Dom für besetzt.

Der damalige Kirchenmusikdirektor und Dom-Organist Wilhelm Kümpel, (1920-2000) schilderte die Begebenheit so: „Ich hatte aufgehört zu spielen, die Besucher gingen. Ich stellte fest, dass in einer Reihe junge Leute mit ihren Kindern sitzen blieben. Unwissend verließ ich die Kirche. Danach durfte ich den Dom zwei Tage lang nicht betreten, obwohl ich mich dringend auf Konzerte in der Bundesrepublik vorbereiten musste. Die Stasi hatte das Gelände um den Dom abgeriegelt.“

In der Kirche saßen auch Kerstin und Rainer Römhild mit ihrem achtjährigen Sohn. Die Besetzung sei geplant gewesen“, sagt Rainer Römhild später. „Wir, Katholiken und Protestanten aus Sömmerda, waren angereist, um mit dieser Aktion die Öffentlichkeit auf die Not und Verfolgung von ausreisewilligen DDR-Bürgern aufmerksam zu machen.“ Seit drei und mehr Jahren hatten die Dombesetzer Ausreiseanträge laufen, die alle abschlägig beantwortet worden waren.

Alle Seiten schwiegen

Eine von der Staatssicherheit in Betracht gezogene gewaltsame Räumung wurde von kirchlicher Seite abgelehnt. Dagegen hatten außerdem die Besetzer der Kirche vorgesorgt und bei Freunden Informationen für das ZDF und die Vereinten Nationen hinterlegt. Zusätzlich war Rainer Römhild bereit, auch ganz Erfurt mit Hilfe eines besonderen Glockenspiels über den Skandal zu informieren. „Wenn die Situation eskaliert wäre, hatte ich mich an den Schaltanlagen in der Sakristei darauf vorbereitet, die berühmte ‚Gloriosa‘ zu läuten, deren unverwechselbarer Klang nur zu ganz besonderen Anlässen bis weit über die Stadtgrenzen hinaus wahrzunehmen ist“, so Römhild.

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Er wollte die „Gloriosa“ läuten: Rainer Römhild

Die Kathedrale wurde offiziell „wegen Bauarbeiten“ gesperrt. Für die kühlen Nächte stellte das Priesterseminar Liegen und Decken zur Verfügung. Die Caritas sorgte für Verpflegung, für die Kinder gab es Bananen und Orangen. Zu den wenigen, die Zugang hatten, gehörte neben Weihbischof und Dompfarrer Hans-Reinhard Koch auch Georg Sterzinsky, der damals Generalvikar im Bischöflichen Amt Erfurt-Meiningen war.

Die Politiker in Berlin waren in heller Aufregung. Erich Honecker persönlich schaltete sich ein, um eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden. Nach intensiven Verhandlungen, in die auch die Berliner Anwaltskanzlei des Honecker-Vertrauten Wolfgang Vogel einbezogen war, wurde zunächst die beabsichtigte gemeinsame Ausreise der Dombesetzer per Bus abgelehnt. Nach zwei Tagen gab es endlich eine Entscheidung. Am Dienstagabend ab 19.30 Uhr wurden die Familien im Abstand von jeweils fünfzehn Minuten per Taxi nach Hause gefahren.

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Die Bestzung des Erfurter Doms blieb über Jahre das Geheimnis aller Beteiligten

Sie hatten im Beisein von Generalvikar Sterzinsky vom Staat die Zusicherung erhalten, innerhalb von zehn bis dreißig Tagen in die Bundesrepublik ausreisen zu dürfen. Diese Zusicherung war jedoch mit der Auflage verbunden, dass der „Fall“ nicht in die Medien gelangen dürfe, sonst würde es kein Wiedersehen mit den Verwandten geben. Außerdem wurde das Ehepaar B. als „Pfand“ zurückgehalten und erst in den Westen entlassen, nachdem über Wochen nichts von der Besetzung an die Öffentlichkeit gelangt war. Tatsächlich ging die Dom-Besetzung an den Medien und damit an den ansonsten recht wachsamen westdeutschen Korrespondenten in der DDR vorbei.

Weite Wege zur Erkenntnis

Die katholische Kirche hielt den Protest der Ausreisewilligen unter der Decke, um kein Beispiel für andere zu schaffen. Diszipliniert hielt sie sich, auch über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik hinaus,  an ihre Stillschweige-Übereinkunft mit dem Staat. Als der bald darauf zum Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz und 1991 zum Kardinal ernannte Erzbischof Georg Sterzinsky (1936-2011) im Februar 1990 der Evangelischen Kirche in der DDR für ihr Engagement bei der Demokratisierung dankte, stellte er selbstkritisch fest: „Wir werden noch viel überlegen müssen, worin eigentlich unser Versagen auf katholischer Seite bestanden hat. Die Erkenntnis ist noch nicht gereift.“

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Margot Honecker und ihr verlorenes Paradies

Ihr Bildungssystem prägte zwei Generationen von DDR-Bürgern – Sie wollte die Jugend auf die „kommunistische Zukunft“ vorbereiten – Ihre Erziehungsmaxime: Wer nicht spurt, der fliegt – Am meisten hasste sie Gorbatschows Pläne und seine Frau Raissa – Starrsinnig hielt sie bis zuletzt die DDR für ein Paradies, in dem sie auch so lebte  

Margot Honecker starb am 6. Mai 2016 89-jährig einsam am Ende unserer Welt, in ihrem freigewählten Asyl in Santiago de Chile. Von 1963 bis 1989 war sie Volksbildungsministerin der DDR, sie gehörte dem Zentralkomitee der SED an, saß in der Volkskammer, leitete vorher schon die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und war quasi für die Schulbildung von mindestens zwei Generationen verantwortlich. Auch wenn sie in ihrer alten Heimat geblieben wäre, hätte wohl nicht mehr als eine längere Notiz vom Ableben der einst mächtigsten Frau im „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ berichtet. Hier die Ausnahme.

Vergangenheit statt Geschichte

Als Ehefrau von Partei- und Staatschef  Erich Honecker übte sie mehr Macht aus, als ihr Amt erlaubte. Auch im hohen Alter hätte sie in der DDR ganz sicher noch ihre Hände im Spiel gehabt. Nach ihrem Tod wäre ihre Urne in der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde in eine Mauernische gesetzt und mit einer Marmortafel verschlossen worden, auf der in goldenen Lettern stände „Margot Honecker 1927 – 2016“. Alle ihre Orden hätte  man dem Trauerzug vorangetragen, und ein Armeeorchester spielte „Unsterbliche Opfer“. Die Kampfgruppe stünde Spalier. Delegationen der Margot-Honecker-Oberschulen aus dem ganzen Land legten Blumen nieder. Die Zeitungen wären voll der Trauer und im Text hieße es: Niemand in Europa war länger und erfolgreicher Minister  für Bildung. Und ihr Mann läge seit Jahren schon im Rondell neben Thälmann, Pieck und Ulbricht. Aber so…   

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Margot Feist als Jugendfunktionärin an der Seite von FDJ-Chef Honecker

Ihr Wirken ist weniger Geschichte, mehr Vergangenheit. Kaum jemand rühmt ihr Tun. Im Gegenteil, die etwas Älteren von uns schlagen sich mit den Spätfolgen des „sozialistischen Bildungssystems“ herum, mit der anerzogenen Doppelzüngigkeit, mit dem Aussprechen von Wahrheiten hinter vorgehaltener Hand, mit dem scheelen Blick auf den oft beneideten Klassenfeind. Margot Honecker formulierte die Maxime ihres Handelns einmal so: „Unsere Partei hat die Bildung und Erziehung der Jugend, ihre Vorbereitung auf die kommunistische Zukunft stets als gesellschaftliches Anliegen betrachtet … Wir müssen die Jugend zu einer revolutionären Ungeduld gegenüber allem erziehen, was nicht in unsere Zeit passt.“

Immer schussbereit

Vieles passte nicht in Margot Honeckers Zeit. Zum Beispiel die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. „Diese Verbrecherbande will das Land aus dem Untergrund heraus aufrollen. Walesa ist doch ein ausgemachter Verräter.“ So wiederholte  ihr persönlicher Kraftfahrer ihre Meinung. Auch Fragen nach dem Sinn von Waffen klirrenden Militärparaden in der DDR, mit denen sich Schüler der Pankower Ossietzky-Oberschule an der Wandzeitung befassten, passten ihr nicht. Margots Fahrer holte die Briefe über den Rausschmiss mehrerer  Schüler, die an der Schulwandzeitung zur Diskussion darüber aufgefordert hatten, im September 1988 im Ministerbüro ab, um sie den Eltern zu überbringen. In Gesprächen warf sie den für die Stasi arbeitenden Leuten in der Schule Unfähigkeit vor. „Die haben viel zu spät reagiert. Wo soll das hinführen, wenn sie die Lage nicht im Griff haben.“

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Mit 22 Jahren jüngste Volkskammerabgeordnete, gratulierte sie 1949 Wilhelm Pieck zur Wahl zum Präsidenten der DDR

Da war die First Lady aus anderem Holz geschnitzt. Wenn sie ihrem Kraftfahrer Georg, genannt Schorsch, ihre Handtasche anvertraute wusste er, dass er besonders gut auf den kleinen silberfarbenen Brownig aufzupassen hatte, der sich in der Tasche befand. Ansonsten galt ihre Erziehungsmaxime: Wer nicht spurt, der fliegt! 

Hass auf die Rivalin

Auch Gorbatschow passte nicht in Margots Zeit. Nicht die Perestroika und nicht Glasnost – sie hasste Umgestaltung und Offenheit. „In der Sowjetunion kann jeder Schmierfink schreiben, was er will“, sagte sie. „Sieh dir doch dieses Wurstblatt ‚Sputnik‘ an, das sollte bei uns verboten werden.“ Kurze Zeit später, im Dezember 1988, wurde das in deutscher Sprache verkaufte Magazin mit vielen Enthüllungen zur Stalinära aus dem Postzeitungsvertrieb genommen.

Als die Welle der Flüchtenden im Sommer 1989 nicht zu stoppen war, beschimpfte Margot – jeder  in der DDR wusste wer gemeint war, wenn der Name „Margot“ fiel – die Ungarn: „Die haben das ganze sozialistische Lager verraten. Es war ihnen ja nie zu trauen.“ Zur Massenflucht sagte sie: „Ich verstehe das nicht. Sind die Leute so blöd? Die haben doch in der Schule gelernt, was Kapitalismus bedeutet.“ Aber sie haben auch den „entwickelten Sozialismus“ erlebt.

Besonders hasste sie die hochgebildete Philosophin, Beraterin und Gattin des sowjetischen Präsidenten Raissa Gorbatschowa. So gut es ging mied sie Empfänge und Veranstaltungen, bei denen sich beide begegnet wären. Eine Frauenrechtlerin war sie wohl auch nicht, denn beim Gorbatschow-Reagan-Gipfel in Washington, zu dem Raissa ihren Mann begleitete, schimpfte sie: „Was haben die Weiber da zu suchen, wo über Weltpolitik entschieden wird?“  

Steile Karriere

Margot Feist wurde 1927 in Halle an der Saale als Tochter eines Schuhmachers und einer Fabrikarbeiterin geboren. Sie gehörte zunächst dem nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädel (BDM) an, trat 1945 der KPD bei, war Mitbegründerin des Antifaschistischen Jugendausschusses von Halle und brachte es bald zur Abteilungsleiterin im Landesverband Sachsen-Anhalt der FDJ. Ein Jahr später wurde sie Vorsitzende der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, der ab den sechziger Jahren fast alle Schülerinnen und Schüler der ersten bis siebten Klassen als Jung- oder Thälmann-Pioniere angehörten.

Als FDJ-Funktionärin lernte sie den um fünfzehn Jahre älteren FDJ-Chef Erich Honecker kennen und brachte 1952 die gemeinsame Tochter Sonja zur Welt. Aus Gründen der öffentlichen Moral ließ Honecker sich auf Druck des SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck von seiner zweiten Ehefrau, der um drei Jahre älteren Parteifunktionärin Edith Baumann, scheiden und heiratete 1953 Margot Feist. Ihrem mittelmäßig begabten Bruder Manfred beschaffte er übrigens später noch einen gut bezahlten Job als Abteilungsleiter in der SED-Führung.

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Das Ehepaar Honecker gemeinsam bei einer Veranstaltung

Margots Karriere als Volksbildungsministerin war vorgezeichnet. Mit ihrem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ setzte sie sich schließlich 1965 ein Denkmal, das inzwischen zerbröselt. Der auf ihren Druck hin gegen die Kirchen, viele Eltern und Bürgerrechtsbewegungen 1978 durchgeboxte Wehrkundeunterricht an den Schulen kennzeichnete sie als Hardlinerin in der SED-Führung.

Margots Paradies

Bei vielen Gesprächen in Chile und bei ihren wenigen verbliebenen Freunden in Nikaragua und Kuba rühmte sie bis zuletzt die DDR als ein wahres Paradies. Tatsächlich hat sie auch so gelebt. Ihre Spezialverkaufsstelle in der Waldsiedlung Wandlitz, in der die SED-Führung wohnte, hielt aus dem Westen für Ostgeld bereit, was man sich wünschte. Zum Einkaufen flog sie klammheimlich auch schon mal nach Paris oder veranstaltete besondere Modeschauen für die Funktionärsdamen. Spielsachen für Enkel Roberto ließ man aus dem Westen einfliegen. Der Chef der hochpreiseigen Modekette „Exquisit“ nahm persönlich ihre Maß ab und ließ Kostbarkeiten nähen, für die beim Abholen schon mal bis zu zweitausend Mark hingelegt werden mussten.

Über die Ehe gab es über die Jahre mannigfache Gerüchte. Grundsätzlich begleitete Margot ihren Mann nicht auf dessen vielen Weltreisen von Japan bis Mexiko, die seinem Volk vorenthalten wurden. Ihre Pflichten erledigte unterwegs Honeckers dunkelhaarige, vollschlanke Sekretärin, die ihn auf der Karriereleiter begleitet hatte und auf Reisen stets in seiner Nähe nächtigte. Margot Honecker wurden indes Verhältnisse mit Untergebenen, Künstlern und Schriftstellern nachgesagt. Ihr Kraftfahrer setzte sie oft genug nahe solcher Wohnorte rund um Berlin ab.

Der Blick zurück im Zorn

Dennoch hielt das Ehepaar im Alter wieder zusammen. Bei der gemeinsamen Flucht im März 1990 nach Moskau war Honeckers nahes Ende bereits abzusehen. Nach der Auslieferung nach Deutschland im Juli 1992 und seiner Freilassung aus der Haft im Januar 1993 durfte er sich als todkranker Mann nach Chile in die Pflege seiner bereits dort ansässigen Ehefrau Margot begeben, die ihm bis zu seinem Tod im Mai 1994 pflegte. Beide fühlten sich und ihre Ideale von Michail Gorbatschow und den eigenen Genossen verraten. Voller Zorn blickten sie zurück, hatten jeden Sinn für die Zeichen der Zeit verloren, die sich mit dem Willen von Millionen Bürgern ihres Landes Bahn gebrochen hatten.

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Margot und Erich Honecker in den Neunzigerjahren nach dem Ende aller Karrieren

Es mag wie ein Widerspruch klingen, dass die DDR hervorragende Menschen, Facharbeiter, Handwerker, Lehrer, Ingenieure, Wissenschaftler hervorgebracht hat, Frauen und Männer mit großen Fähigkeiten und Idealen. Sie sind den schwierigeren Weg von Individualisten gegangen, die sich der Kollektivierung verweigern, nicht in Denkschablonen pressen und vom Credo einer alternden pseudokommunistischen Führungsriege beeindrucken lassen, dass die Partei immer recht habe. 

(siehe auch: https://klaustaubert.wordpress.com/2013/06/20/ich-fuhr-die-first-lady/)

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„Deutsche an einen Tisch“ – Ein Slogan wird geboren

Die Schlagzeile am 31. Januar 1951  auf Seite eins des  „Neuen Deutschland“ lautete: „Deutsche an einen Tisch!“ – Darunter veröffentlicht wird der in einem Brief von DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl an Bundeskanzler Konrad Adenauer unterbreitete Vorschlag zur Gründung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates. Die Volkskammer der DDR hat diesen Brief gebilligt und die Einzelheiten konkretisiert. Hauptanliegen dieses Rates soll die Erhaltung des Friedens und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sein. In dem Gremium soll über alle Fragen demokratischer und rechtsstaatlicher Normen, die Bewaffnung und Größe der Polizei auf beiden Seiten und viele andere Details beraten werden, die über ein friedliches Miteinander bis hin zur deutschen Einheit führen könnten.

Interessant ist die Vorgabe der Volkskammer, dass der Gesamtdeutsche Konstituierende Rat mit der jeweils gleichen Zahl an Abgeordneten von Bundestag und Volkskammer besetzt werde. Das hätte bedeutet, dass bei nur einem einzigen Abgeordneten aus der damaligen KPD-Fraktion des deutschen Bundestages in diesem Rat die DDR-Seite immer die Mehrheit haben würde.

Adenauer hat das von Moskau gesteuerte, sehr durchsichtige Manöver auf einer Pressekonferenz abgelehnt. Aber der Begriff „Deutsche an einen Tisch!“ war geboren.

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Der vergessene Briefwechsel

Wie Ulbricht der SPD den Schneid abkaufen wollte

Selten hat ein Briefverkehr so viel Wirbel und politische Wirrnis verursacht wie jener zwischen SED und SPD im Jahr 1966. Anfang Februar schlug SED-Chef Walter Ulbricht in einem offenen Brief der SPD gemeinsame Gespräche über die Zukunft Deutschlands vor. Viele Monate lang stritten beide Seiten und kamen schließlich zu keinem Ergebnis.

Der Hintergrund: Mit der Einführung des „Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ auf dem 6. SED-Parteitag im Jahr 1963 erhob SED-Chef Walter Ulbricht den bis dahin als zutiefst kapitalistisch verteufelten Gewinn und andere Marktmechanismen in der volkseigenen Industrie zum Maßstab des Erfolges. Zudem sollten die wirtschaftlichen Entscheidungen vom zentralen Staatsapparat auf die fachlich fundierte Ebene in den Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) und in die neuen sozialistischen Konzerne, die Kombinate, verlagert werden.

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Wenige Jahre nach dem Mauerbau am 13. August 1961 war die Erkenntnis gereift, dass Abschottung und ein Stopp der Abwanderung von Fachkräften allein kein geeignetes Mittel ist, die Wirtschaft voranzubringen. Ulbricht war überzeugt, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt im Westen seinen Ursprung hat und nicht, wie propagandistisch immer behauptet, im Osten.

Eine engere Bindung der DDR an die Bundesrepublik gehörte fortan zu den Zielen Ulbrichts, die sogar auf eine deutsch-deutsche Konföderation hinauslaufen könne. Das stand zwar gegen die Meinung von Kreml-Chef Leonid Breschnews, der Ende 1964 seinen Vorgänger Chruschtschow gestürzt und die Macht an sich gerissen hatte. Doch bei aller Annäherung war Ulbricht nicht bereit, ideologische Kompromisse einzugehen. Vielmehr versuchte er, den westdeutschen „Klassenbrüdern“ das System der DDR als Alternative zum „Monopolkapitalismus“ schmackhaft zu machen.

Im Dezember 1965 hatte er das Amt des „Staatssekretärs für gesamtdeutsche Fragen“ geschaffen, das sich mit Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen Staaten beschäftigte. (Nach dem Scheitern der Annäherung ab 1967 hieß es: „Staatssekretär für westdeutsche Fragen“.)

Die Briefe: Am 7. Februar 1966 war es soweit, dass Walter Ulbricht die Initiative ergriff und im Namen des SED-Zentralkomitees einen offenen Brief an die Delegierten des vom 1. bis 5. Juni geplanten Dortmunder Parteitages der SPD sowie an alle Mitglieder und Freunde der westdeutschen Sozialdemokratie richtete.

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In einer Agit-Prop-Sprache versuchte Ulbricht die Ziele der CDU/CSU und der FDP, damals Regierungsparteien in der Bundesrepublik, als Atom-, Kriegs- und Ausbeutungspolitik darzustellen und das Modell DDR für die Zukunft eines vereinten Deutschlands zu empfehlen.

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Er legte den SPD-Mitgliedern nahe, sich die DDR anzuschauen, um einen Eindruck von einer möglichen eigenen friedlichen und sozialistischen Zukunft zu bekommen. Natürlich alles viel ausführlicher und wortreicher. Schließlich schlug er vor, dass man sich – ungeachtet aller Meinungsunterschiede – zusammensetzen solle, um über all diese Probleme zu reden.

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Ulbricht schwebte eine gemischte Kommission vor, bestehend aus Funktionären von SED und SPD, die eine tiefgreifende Zusammenarbeit vorbereiten und entwickeln könne. Er wollte gewissermaßen ein ständiges Gremium aus beiden Parteien installieren.

Der Parteivorstand der SPD, deren Vorsitzender der Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt war, schrieb am 19. März in einer offenen Antwort, dass man den „politischen Aufruf“ der SED zur Kenntnis genommen habe und fügte sogleich zwei Feststellungen hinzu:

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Desweiteren stellte die SPD sieben Fragen an die Briefschreiber aus Ost-Berlin. Allein eine davon hätte schon genügt, um einen Fragesteller aus dem Osten zu einer peinlichen Befragung in den Stasi-Knast nach Hohenschönhausen „zuzuführen“. Zum Beispiel lautete eine der Fragen:

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Andererseits stand die SPD damals noch auf dem Standpunkt von CDU/CSU hinsichtlich der östlichen Grenze des ehemaligen deutschen Reichs, von dem sie sich später gelöst hatte.

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Ist die DDR zu einer freimütigen Diskussion in beiden Teilen Deutschlands bereit? So eine andere Frage, auf die schließlich die SED in einem weiteren Brief mit einem konstruktiven Vorschlag einging: In Ost und West sollten bei einem Redneraustausch aktuelle politische Fragen mit den Bürgern diskutiert werden. Einmal in Karl-Marx-Stadt und zum anderen in Hannover. Jeweils würden führende Funktionäre beider Parteien in einen Disput mit den Menschen des jeweils anderen deutschen Staates vor Ort treten.

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Das Ende: Ich erinnere mich an die Tage im Jahr 1966. Selten war das „Neue Deutschland“ so rasch ausverkauft wie am 26. März, vielerorts musste es nachgeliefert werden. Die Briefe der SED sowie die Antwort der SPD waren im vollen Wortlaut abgedruckt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Diskussion über die Briefe, wobei besonders die Antwort der SPD große Resonanz fand. Die Briefe hatten eine Lawine losgetreten.

SED-Funktionäre aus Berlin, den Bezirken und Kreisen mussten in die Betriebe, um sich den Fragen der Werktätigen zu stellen, die nicht selten die Positionen der SPD vertraten und tatsächlich einen freimütigen Gedankenaustausch durch gegenseitige Besuche in Ost und West forderten. So hatte das die SED natürlich nicht gemeint, die das Ganze als  Einbahnstraße in die DDR verstanden wissen wollte.

Das „Neue Deutschland“ versuchte mit einem Leitartikel die Wogen zu glätten und behauptete, dass sich die SPD mit Nebenfragen an den Hauptfragen der Zeit, Krieg oder Frieden, vorbeimogele.

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Ulbricht ging von seiner Idee, ein ständiges Gremium aus SED und SPD zu schaffen nicht ab und schlug dem SPD-Vorstand vor, dass sich führende Leute beider Parteien abwechselnd in Hannover und Magdeburg zum politischen Meinungsaustausch treffen und gemeinsame Fragen erörtern. Damit versuchte Ulbricht, die SPD als führende Oppositionspartei im Bundestag in Konfrontation zu den regierenden Parteien CDU/CSU und FDP zu bringen.

Über viele Monate hetzte die SED ihre Agitatoren in Presse, Funk und Fernsehen Ost sowie in den von ihr finanzierten Zeitungen und Zeitschriften West darauf, Stimmung für eine Zusammenarbeit zwischen SED und SPD zu erzeugen. Doch alle Versuche führten zu keinem Ziel. SPD-Vorsitzender Willy Brandt, Regierender Bürgermeister in Berlin während des Mauerbaus (ab Ende 1966 Außenminister und Vizekanzler in der Regierung Kiesinger), lehnte solche Gespräche ab. Als Kanzler ab 1969 war er schließlich der Initiator einer neuen Ostpolitik, die auf lange Sicht die Einheit Deutschlands in Freiheit vorbereitete.

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Nach monatelangen internen Diskussionen sollte es am 14. Juli 1968 soweit sein. In Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) sollte der Redneraustausch zwischen SED und SPD unter großer Medienpräsens beginnen. Doch die Geister, die die SED gerufen hatte, wurde sie nur schwer wieder los. Zu groß waren die Sympathien der Massen für die Repräsentanten der SPD.

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Einen Tag vor der öffentlichen Diskussion in Karl-Marx-Stadt mit Willy Brandt, Fritz Erler und Herbert Wehner wurde die Veranstaltung unter fadenscheinigen Begründungen von der SED abgesagt. Selbst die von der ARD vorgeschlagene Fernsehdiskussion zwischen Abgeordneten von Bundestag und Volkskammer kam nicht zustanden. Dazu hatte ADN zu melden: „Die Annäherung und Verständigung zwischen SED und SPD ist für die Zukunft Deutschlands zu wichtig, als dass zugestimmt werden könnte, sie durch einen Fernsehmassenstreit mit provokatorischen Einlagen von interessierter Seite gefährden zu lassen. Man verwahrt sich entschieden dagegen, dass sich die Bonner Regierung in der Absicht, eine Verständigung der Bürger hüben und drüben zu stören, in das Gespräch zwischen der SED und der westdeutschen Sozialdemokratie einmischt.“

Ulbrichts Anbahnungsversuche waren auf der ganzen Linie gescheitert. Die SED war im höchsten Maße verunsichert und Ulbricht dem Druck Moskaus und der moskauhörigen Fraktion im Politbüro, auch angesichts der Ereignisse in der CSSR, ausgesetzt, so dass er seine Experimente einer deutsch-deutschen Annäherung unter sozialistischem Vorzeichen aufgab.

Nach einem neuerlichen Versuch, die Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Bundesrepublik durch die gegenseitigen Besuche der Regierungschefs Stoph und Brandt in Erfurt und Kassel zu intensivieren, zog Moskau die Reißleine und ermöglichte Honecker, seinen politischen Ziehvater und Mentor zu stürzen und dessen Platz einzunehmen. Ulbrichts Scheitern hatte üble Konsequenzen für die DDR. Obwohl seine “Neue Ökonomischer Politik” in den Sechzigerjahren die bis dahin höchsten Zuwachsraten erzielte, die einen bescheidenen Wohlstand erhoffen ließen, ging es fortan unter Honeckers Parteivorsitz bergab.

Viele der neuen Denkansätze in der Volkswirtschaft als auch in der deutsch-deutschen poltischen Zusammenarbeit wurden von Honecker ignoriert. Die DDR gebärdete sich als eigenständige Nation, in der sogar die eigene Hymne mit „Deutschland einig Vaterland“ nicht mehr gesungen werden durfte.

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Ein später Versuch Honeckers, die Beziehungen zwischen SED und SPD wieder zu intensivieren, zumal sein Bruch mit Glasnost und Perestroika von KPdSU-Chef Michail Gorbatschows offenkundig war, drückte sich in dem 1987 von SED und SPD gemeinsam fabrizierten Grundsatzpapier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ aus, in der die SPD keine ihrer ideologischen Prinzipen verließ. Andererseits war der Untergang der DDR nicht mehr aufzuhalten.

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Breshnew-Doktrin in Aktion

Bedrohte Macht

Mit den Streiks im Sommer 1980 in Polen hatte sich erstmals eine organisierte Volksbewegung gegen die Partei- und Staatsführung eines Warschauer-Pakt-Staates erhoben. Die durch Preiserhöhungen lokal entstandenen Streiks griffen auf das gesamte Land über. Ausgehend von der Danziger Lenin-Werft entstand ein überbetriebliches Streikkomitee, das neben 21 Forderungen politischen und sozialen Inhalts auch die Zulassung von unabhängigen Gewerkschaften verlangte. Unter dem Druck aus dem ganzen Land stimmte die Regierung im Danziger Abkommen zu, und am 17. September wurde offiziell die unabhängige Gewerkschaft „Solidarität“ gegründet, deren erster Vorsitzender Lech Walensa wurde. Zeitweise gehörten der Gewerkschaft mehr als neun Millionen Mitglieder an, darunter nahezu jeder Dritte war Mitglied der PVAP. Das berührte die Machtfrage im Staat und damit die 1968 ausgerechnet auf einem Parteitag in Polen verkündete „Breshnew-Doktrin“ des Kreml-Chefs, die von einer „beschränkten Souveränität“ der sozialistischen Staaten ausging und daraus das Recht ableitete, sich einzumischen, wenn das kommunistische System in einem der Pakt-Staaten bedroht würde.

Am 5. Dezember 1980 trafen sich in Moskau ad hoc die führenden Köpfe des Warschauer Paktes und ihre höchsten Militärs, um am Ende in einer so gut wie nichtssagenden Erklärung einzig und allein auf Polen einzugehen. Unüberhörbar war die Drohung eines möglichen Einmarsches wie 1968 in die CSSR:

„Die Vertreter der PVAP informierten die Teilnehmer des Treffens über die Entwicklung der Situation in der Volksrepublik Polen, über die Ergebnisse des 7. Plenums des ZK der PVAP. Die Teilnehmer des Treffens brachten ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die Kommunisten, die Arbeiterklasse, die Werktätigen des brüderlichen Polens imstande sein werden, die entstandenen Schwierigkeiten zu überwinden, die weitere Entwicklung des Landes auf sozialistischem Weg zu sichern. Es wurde bekräftigt, dass das sozialistische Polen, die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei und das polnische Volk fest mit der brüderlichen Solidarität und Unterstützung der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages rechnen können. Die Vertreter der PVAP betonten, dass Polen ein sozialistischer Staat, ein festes Glied der Familie der Länder des Sozialismus war, ist und bleibt.“

 

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Der Fall der Mauer

Seit Günter Schabowski am frühen Abend des 9. November 1989 die Grenze zur Bundesrepublik öffnete, wird darüber gestritten, ob das durch ein Versehen oder bewusst geschah. Für die Geschichte zählt allein die Gewissheit, dass es ein anderer möglicherweise nicht einmal aus Versehen getan hätte.

Die Ereignisse am 9. November überraschten auch uns Journalisten. Niemand kann sagen, er habe es kommen sehen. Auch wenn man erkannt hatte, dass die DDR seit ihrer Gründung in der größten Krise steckte. Im Gegensatz zum 17. Juni 1953 gab es diesmal keine massenhaften Arbeitsniederlegungen, man ging nach Feierabend demonstrieren, mit Aufschriften: „Keine Gewalt!“. Hunderttausende blieben friedlich. Bei welcher Revolution gab es das schon einmal? Mit allem hatten SED-Führung und Staatssicherheit gerechnet, nicht aber mit Kerzen und Gebeten als Protest im Arbeiter-und-Bauern-Staat.

Und die Russenpanzer blieben in den Kasernen. Und die Polizei hielt sich zurück. Und Hunderte Kompanien der NVA wurden im angemessenen Abstand zu den „Unruheherden“ kreuz und quer durch das Land geschickt, ohne eingreifen zu dürfen. Die Einsatzpläne der Nationalen Volksarmee und die täglichen Situationsberichte an Honecker und Co. lesen sich wie Hilferufe, man möge doch endlich diesen widerlich-friedlichen Aufruhr verbieten. Die Leute randalierten ja nicht einmal.

Weltfremd „neue“ Führung gebastelt

Am 9. November, wir saßen im „Großen Haus“ und verfolgten eine Tagung des Zentralkomitees der SED, das aus alten Kadern eine neue Führung bastelte, da geschah das Unerwartete. SED-Politbüromitglied Günter Schabowski öffnete wenige Minuten vor 19 Uhr gegen alle Absprachen die Mauer. Nach einem angeblichen Missverständnis und einem großen Hickhack hinter den Kulissen, den Historiker zu klären haben, verkündete Schabowski als Sprecher der SED-Führung für DDR-Bürger die  Möglichkeit  „sofort“, „unverzüglich“ auszureisen, beispielsweise über die Berliner Grenzübergangsstellen. Das alles war erst ab den 10. November vorgesehen. Doch von einem Sperrvermerk wusste Schabowski, der einen entsprechenden Zettel von Krenz erhalten hatte, nichts.

Ich halte dieses „Versehen“ für wohlüberlegt. Man stelle sich vor, Hardliner wie Mielke, Stoph und die Generalität hätten in der Nacht zum 10. November den Beschluss zur Maueröffnung mit militärischer Gewalt rückgängig gemacht und die dafür Verantwortlichen aus dem Verkehr gezogen. Noch hatten der Staatssicherheits- und der Innenminister die Regelung nicht unterschrieben und dazugehörige Befehle erlassen. Eine „chinesische Lösung“ wäre immer noch möglich gewesen.

Schabowskis Entscheidung, wie immer man zu diesem Mann stehen mag, war die Tat eines klugen Kopfes, der unveränderliche Tatsachen schuf, als er für einen kurzen Augenblick das Heft des Handelns in der Hand hielt und über die nahe Zukunft einer Nation entschied. Es war nicht mehr, und es war nicht weniger.

„…von historischer Tragweite“

Als Diensthabender verfolgte ich minutiös die Geschehnisse des Wochenendes und schrieb am Sonntag eine Dokumentation über die ersten 50 Stunden seit Maueröffnung. Mir war klar, dass die DDR dieser Situation nicht gewachsen sein würde und wählte als Überschrift: „Eine Entscheidung von historischer Tragweite“.

In aller Welt wusste man, politisch brisante Nachrichten aus dem Hause ADN waren von der SED-Führung abgesegnet. Deshalb wunderte ich mich nicht, dass die großen Nachrichtenagenturen wie AP, Reuters, dpa auf diesen Beitrag wie auf eine Sensation reagierten und kommentierten: „ADN nennt die Maueröffnung eine Entscheidung von historischer Tragweite“. Tatsächlich war über diese Schlagzeile ganz oben, ganz oben in meinem eigenen Kopf entschieden worden. Wir waren so frei, endlich!

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So wie die CDU-Zeitung „Neue Zeit“ übernahmen zahlreiche Zeitungen den ADN-Kommentar mit der Formulierung der „historischen Tragweite“

Vieles hatte ich, hatten die meisten nicht vorhergesehen. Doch dass unter Gorbatschows Herrschaft plus Fall der Mauer eine Weltanschauung ihren Geist aufgab, das war zu erkennen. Man spürte, dass in diesen Tagen ein ganzer Überbau zusammenbrach, Gerüste einstürzten, Säulen kippten und Ruhmeshallen zerbarsten. Ein Weltsystem begann sich aufzulösen. In Wohlgefallen kann man nicht sagen, denn auch Tschetschenien, Jugoslawien, Äthiopien, Angola, Mocambique, Afghanistan und andere rechneten sich diesem System zugehörig. Und sie sind bis heute auf der Suche nach Zukunft.

Vieles kam zu spät

Als der Mauerfall weltweit noch Freude und Erstaunen  auslöste, Journalisten rund um den Erdball Flüge in die einstige deutsche Hauptstadt buchten, um Chronisten der Ereignisse zu sein, tauchte am späten Vormittag des 11. November in der ADN-Zentrale in der Berliner  Mollstraße ein Mann auf, etwa 1,65 Meter groß, schütteres Haupthaar, große Brille, und wünschte einen Verantwortlichen zu sprechen.

Da stand er wieder vor mir, zum zweiten Mal im Leben: Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi. Diesmal nicht als Verteidiger Rudolf Bahros, wie ich ihn 1978 kennengelernt hatte, sondern als Verteidiger eines reisedurstigen Volkes. Als Vorsitzender des Rates der Kollegien der Rechtsanwälte der DDR übergab er mir die Entwürfe für ein Reisegesetz sowie für ein Gesetz über die Verlegung des ständigen Wohnsitzes von Bürgern der DDR ins Ausland.

Ich ließ aus beiden Dokumenten längere Nachrichtenfassungen anfertigen und übergab sie der Öffentlichkeit. Doch sie waren so gut wie Makulatur, kamen um Stunden – ach, um Jahre zu spät.

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